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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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kleinen Fingers das Klacken der Sekunden auf dem Zifferblatt seiner Armbanduhr. Wir fahren nach München, im Ultraschall ist Clubnight, da geht heute was ab! War schön, aber ihr seid uns zu ernst. Die eine Hälfte brauste davon, zerdröhnte mit aufbrummenden Motoren die Stille, die andere Hälfte wollte segeln gehen und schlenderte hinab zum See. Weiße Hemden, die in der Dunkelheit leuchteten, manchmal aufblitzende Juwelen, von den Fingern einer Frau am hellen Fleck des Halses gedreht; Worte, die im leichten Wind, der aufgekommen war, kühler klangen, als sie womöglich gemeint waren, unscharf von Echos, zerflatternd. Mauritz zuckte die Achseln und steckte die Hände in die Hosentaschen. Ich sah zum Haus und nahm Manuela, die davor saß, nur als Schatten wahr; ihre Hand, die hin und wieder durchs Haar fuhr, den dunklen Streifen, in dem ihre Augen sein mußten, vielleicht wachsam, vielleicht geschlossen, die von Licht mit einem feinen Strich umrissene Schulter. Das Haus wirkte jetzt fern. Die Freifrau hatte mit mir gesprochen, wollte wissen, wie der Tee und das Anisgebäck schmeckten, fragte nach meinen Vorlieben. Klassische Musik? Sie hob leicht die linke Augenbraue, nickte dem Diener zu, der im Salon zwischen den Rehbeintischen stand, worauf er sich andeutend verbeugte, dann auf einen Knopf drückte. Ein Wandpaneel glitt zur Seite und entblößte ein Stockwerk voller Schallplatten und CDs. Als sich der Diener ein zweites Mal verbeugte, sah ich, daß Manuela hereingekommen war; sie bewegte sich lautlos, das Kleid raschelte nicht, und als sie sich setzte – elegant und dabei ein wenig kokett, wie ich es nur von schlanken schwarzen Katzen kenne –, geschah auch dies lautlos; aber vielleicht täuscht mich die Erinnerung, die mir denBlick von Manuelas dunkelgrauen Augen in die Eingeweide treibt. Sie hatte die Hände zusammengelegt und zwischen die Knie gepreßt, saß einfach da und beobachtete mich, folgte mit ihren Augen dem Weg der Teetasse zu meinem Mund, betrachtete meine Hände, wenn ich sprach und dabei gestikulierte, so daß ich begann, verlegen zu werden und meine Gesten zu kontrollieren. Es gibt Augenblicke, in denen alle Gegenstände, die wir sehen, etwas Sanftes, Zartes bekommen, plötzlich brechen die Farben eines Teppichs auf und beginnen zu erzählen, Schritte, die darüber gingen, Stimmen, die sich hineinverflochten; scheint das Klavier in der Ecke ein scheues glänzendes Tier zu sein und die reglose Kerzenflamme ein goldbemaltes Pharaonenauge. Mauritz war am Pool geblieben, und ich wußte, daß er zu den erleuchteten Fenstern des Salons hinaufstarrte, unter sich das verzerrte Spiegelbild eines jungen Mannes im Anzug, vielleicht hatte er die Hände in den Taschen und wippte sacht auf den Schuhspitzen, einen glimmenden Zigarillo im Mund. Dann folgte ich der Freifrau durch Flure mit schweren, aus anderen Zeiten auftauchenden Kristallüstern, die Manuela mit einer kleinen Fernbedienung an ihrem Schlüsselbund aufflammen und, wenn wir vorüber waren, wieder sterben ließ: sterben, so sah es aus, wenn das Licht dieser Riesenspinnen in sich zusammenfiel und die Flure mit ihren weichen Läufern, Vasen mit erstarrten Chrysanthemen und Staub auf den Schultern wieder zu dunklen Tunneln wurden. Die Freifrau murmelte, vielleicht war sie von Gespenstern der Vergangenheit umgeben, und ging nicht mehr aufrecht, keine stolze Königin Beatrix mehr in ihrem apricotfarbenen Kostüm, sondern gebückt und huschend; ich hatte Mühe, Schritt zu halten. Musik von irgendwoher, Luftzug, ein Fenster mußte offenstehen; Nachtfalter taumelten um eine Ampel, die eine Halle mit Schachbrettboden erhellte. Die Freifrau hielt einen Moment inne,lauschte, schrieb mit dem Zeigefinger die Melodie nach, Schumann, hörst du? Sie wandte sich an Manuela, die den Blick senkte. Schumann hat er geliebt; woher ist das, können Sie mir helfen, Herr Ritter? Es war ein Stück aus den Davidsbündlertänzen. Sie nickte mit schräggeneigtem Kopf, hilflos, wie mir schien. Manuela streckte die Hand aus. Komm. – Du mußt darauf achten, daß man sein Zimmer nicht reinigt. Nie. Auch nicht das Jagdzimmer. Es darf nichts verändert werden. Nur du und ich haben Schlüssel. – Ja, Hildegard. Komm. Vielleicht will es Wiggo gar nicht sehen. – Er muß! Die Freifrau lachte. Sie schien älter geworden zu sein, als sie das Jagdzimmer aufgeschlossen, die schweren Türflügel beiseite gedrückt hatte. Es war das schlagartige Älterwerden, das einer gekrümmten

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