Der Eisvogel - Roman
dunklem Stahl stand mitten im Raum; das war das einzig Feste. Umzugskartons schienen die Möbel zu ersetzen, bis auf ein ausgelegenes Sofa voller Kleider und den Glastisch entdeckte ich keine. Die Bücher lehnten in einer Regalschlange aus Schaumstoff, die Schlaufen waren mit Drahtklammern aneinandergetackert. Ich dachte an Mauritz’ kristallartige Wohnung. Manuela riß die Faxnachrichten ab, überflog sie, begann zu telefonieren, wobei sie auf und ab ging in dem großen Zimmer, das voller Kleider war und voller Erdkundekarten, über die sie, aber das würde ich erst später wissen, seltsam versunken mit dem Zeigefinger reiste. Manchmal murmelte sie dabei Verse, einen immer wieder: books I’ve read in short and cloudy summer nights
– in Spanien habe ich einmal zwei Mädchen gesehen, die tanzten. Ganz frei. Sie tanzten eng, berührten sich aber nicht, hielten sich nicht bei den Händen und trugen Kleider, die wie Gardinen aussahen. Sie hatten die Augen geschlossen und waren frei. So frei, wie ich noch nie zuvor jemanden gesehen habe. Ich wünschte mir, auch einmal so frei sein zu können. Ich habe sie nie vergessen
– höre ich Manuelas Stimme, wir fuhren, nachdem wir Keks’ Toiletten gereinigt, ihre Futternäpfe und die Eimer aufgefüllt hatten, aus denen sich die Pflanzen Wasser zogen. Manuela warf ein paar Kleider und die Faxpapiere ins Auto. Niederbayern, Landstraßen mit Obstbäumen, Flachsfelder, wir kamen ins Badische, vom Odenwald duftete es nach Abend, wir machten eine Pause, es war still, in den wilden Apfelbäumen am Straßenrand summten Heerscharen von Bienen. Dörfer, gedrängt um ihre Kirche und relativiert von Gewerbegebieten, in sich gekehrte Orte, die wirkten, als wären sie zunichts anderem bestimmt als zum Hindurchfahren oder zum Wegziehen. Bevor wir den Landgasthof erreichten, aßen wir eine Rose. Manuela sagte, sie sei hungrig genug dazu, und meine Aufgabe war es, während Manuela den Mercedes mit laufendem Motor warten ließ, in der Dämmerung über einen Lattenzaun zu springen und die Rose zu brechen. Sie hielt mit zähen Fasern fest, ich kappte sie panisch mit dem Taschenmesser, als Hunde anschlugen und im Haus das Licht anging, eskaladierte über den Zaun und riß mir dabei einen Schiefer ins Fleisch. Manuela hielt weit außerhalb des Dorfes, holte eine Pinzette aus ihrer Kosmetiktasche, zog mir mit ernstem Gesicht den Splitter aus dem blutenden Handballen. Sie preßte ihre Lippen saugend auf die Wunde. Dann roch sie an der Rose, beide Hände um die Knospe gelegt, lächelte und biß hinein, gab sie mir, ich kaute die Blätter, bis sie den leichten Walnußgeschmack verloren und mir im Mund zerfaserten wie alter Salat
– wovor hast du Angst? fragte ich sie abends, als sie in einem der beiden Betten lag, die durch Tisch und Fernseher voneinander getrennt waren. Wenn wir uns ansahen, erschien sie mir unberührbar. Seltsamerweise hatte ich keine Scheu vor ihr. Ich starrte auf die Vase mit Strohblumen auf der rot-weiß gewürfelten Tischdecke. – Ich weiß es nicht, sagte sie. Ich weiß nur, daß ich auf lange Zeit nicht still in einem Zimmer sein kann. Davor, Mauritz zu verlieren. Ich habe nicht viele Freunde. Sie murmelte einen Namen: Nein. Er ist in mich verliebt, aber er ist kein Freund. Manchmal haßt er mich auch. Dann sieht er in mir jemanden, der ich vielleicht einmal war, aber nicht mehr bin. – Ich habe Angst vor dem Anblick eines Zimmers. Manuela stützte den Kopf auf die Hand, hörte mir zu. Es steht voller Apparaturen und medizinischer Geräte, das Bett, in dem ich liege, ist weiß. Es gibt ein Fenster, es stehtimmer offen. Man sieht einen Supermarkt, ein paar Hochhäuser mit einer Reklame, die immerzu aufblinkt und verlöscht. Ich kann sie nicht lesen. Der Himmel ist grün und violett. – Du träumst davon? – Nicht oft. Und ich sehe einen Arzt, der etwas an den Apparaturen verstellt, kurz darauf werden die Schmerzen erträglicher. Dann setzt er sich, und vor mir sehe ich mein ganzes Leben
– ihre Handschrift, sie schrieb mit der Linken, erschien mir als ein Gewimmel einander überschuppender Zacken, holzsplitterhafter Aufstriche und Buchstabensegel; der Brief, den ich am nächsten Morgen fand, lautete: Guten Morgen, Kaffeebohnenritzensäger, Schwarzcharakter, Übelgrübel. Bin bei einer Ortsbegehung mit dem Bürgermeister und einer Baufirma, danach im Fitneßstudio. Gegen Mittag müßte ich zurücksein. Du schnarchst! Ich lag wach und habe in Deiner Dissertation
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