Der Eisvogel - Roman
Ritter. Oder ihr hättet es doch sein können, zu anderen Zeiten. Paßt auf euch auf ... Daß ihr nicht unter die Räder kommt ... – Ja, Hildegard! rief Mauritz im Ton eines artigen Schülers. Die Freifrau achtete nicht darauf. Ein Land, wo man leben kann mit unseren Wertbegriffen ... Verläßlichkeit, Bonhomie, Ehre, Anstand, Pflichterfüllung, Treue. Deutschland ist einmal ein solches Land gewesen, aber heute? Wo sind wir hingeraten? Vater erzählte mir, wie er das Ende des Krieges erlebte: Ein amerikanischer Oberst betrat das Anwesen undsagte auf deutsch: Ich begrüße einen der Männer des zwanzigsten Juli! Kommen Sie mich besuchen. Vater sagte: Nein. Der Besiegte betritt nicht das Haus des Siegers. Es war der Moralbegriff der preußischen Offiziere. Das hat der Amerikaner überhaupt nicht begriffen. – Frenss gehört dazu, auf seine Weise, warf der Bischof ein. Ritterlichkeit, Ehre, Pflicht, höheres Interesse. Alles im Aussterben begriffen in der heutigen Bundeswehr. – Aussterben, ja, das werden wir wohl, murmelte die Freifrau. – Ach was, es wird uns immer geben, entgegnete Mauritz ungerührt. Wir werden ewig sein
– am nächsten Morgen fuhren wir nach München zurück. Mauritz besuchte einen Patentanwaltskongreß (Du glaubst gar nicht, was für skurrile Typen da rumspringen) und hatte danach noch Dinge zu erledigen, bei denen er mich nicht dabeihaben wollte; Manuela lud mich ein: Ich könne sie begleiten, wenn ich wolle, sie habe in den nächsten Tagen einige Termine, und sie hasse das Alleinreisen. Ich könne während der Termine im Auto warten oder mir die Gegend anschauen (Nur zu Fuß, ich kann nicht Auto fahren, – Auch das gefällt mir! Sie lachte. Da kannst du mir wenigstens nicht ausreißen). Nur du und ich? fragte ich skeptisch. – Wir können abends zurückfahren. Manuelas Wohnung blickte auf den Englischen Garten, drei große, ineinander übergehende Zimmer mit umlaufender Dachterrasse, die voller Pflanzen stand: Fächerpalmen, Vieruhrblumen, die sich gegen Abend öffnen würden, fleischige Sisalagaven. Licht drang in breiten Klingen durch die Ritzen der herabgelassenen Jalousien. Als ich ins Wohnzimmer ging, hörte ich ein Trappeln in einer entfernten Ecke des Raums, gleich darauf das Poltern herabfallender Bücher. Keks! rief Manuela. Ich sah niemanden, zu dem dieser sonderbare Name gepaßt hätte. Keks! Manuela hob die Bücher auf und lockte: Na komm, du Angsthase, er ist ein Freund! Indem Haufen achtlos hingeworfener Kleider, vor dem Manuela stand, rumorte es, dann erschienen zwei spitz aufgerichtete Ohren, dazwischen ein flaschenbürstenhaft gesträubter Haarwirbel, zwei Augen mit geweiteten Pupillen. Na komm. Die Katze kletterte vorsichtig aus ihrem Versteck, äugte, hob die Nase und witterte angestrengt. Das also war Keks, und Keks war buntgescheckt wie der Indianersommer. Jemand schien ihr eine Flickendecke übergezogen zu haben: eines der Ohren war milchkaffeefarben, das andere schwarz, weiße, zimtrote, kakaobraune und graugelbe Tupfen sprenkelten ihr Fell. Einfarbig schwarz waren ihre Pfötchen, so daß es aussah, als schliche sie in Pantöffelchen, zart gehoben, zart gesenkt, näher. Eine Sie? – Eine Sie. Manuela hockte sich hin, streckte die Hand aus. Die Katze kam, aber sonderbarerweise nur mit den Vorderpfoten, sie zog sich lang und länger, vielleicht, um eine Fluchtdistanz einzuhalten, denn sie starrte ängstlich nach mir und rieb ihr Köpfchen zögernd in Manuelas Hand. Gleich darauf begann sie zu schnurren, hastig und hart wie ein Glücksradleder. Manuela öffnete ihre Handtasche, entnahm einen Parfumflakon, gab einen Tropfen auf ihre Zeigefingerspitze, die die Katze mit wilder Gier abzuschlecken begann. Komisch, aber sie liebt das, sagte Manuela kopfschüttelnd. Hier. Sie reichte mir das Parfum. Ich benetzte ebenfalls die Zeigefingerspitze, hockte mich in einer zeitlupenhaften Bewegung hin. Keks wartete. Nach einer Weile verriet mir die plötzlich zunehmende Spannung ihrer Flanken, daß sie mir vertrauen wollte. Sie hob die linke Vorderpfote, winkelte sie verstohlen nach vorn und senkte sie so langsam, als wollte sie das Knistern trockener Tannennadeln vermeiden
– noch jetzt irritiert mich die Erinnerung an Manuelas Wohnung: der von Nachrichten überquellende Faxapparat auf einem Glastisch mit Stapeln ungebügelter Blusen, danebendie Krokodilsgebisse von hastig mit den Fingern aufgerissenen Briefumschlägen, eine Schale mit vertrockneten Äpfeln. Eine Küche aus
Weitere Kostenlose Bücher