Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Elbenschlaechter

Der Elbenschlaechter

Titel: Der Elbenschlaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
Vom Netzwerk:
die giftigen Fluten des Cinotaksim gestürzt hatte; sei es das Attentat auf König Rupus I., der anno 612 des Dritten Zyklus während einer Stadtrundfahrt von einem auf der Brücke postierten ybraltischen Attentäter mittels einer thaumaturgisch verstärkten Armbrust getötet worden war; sei es der schicksalhafte Abgang von Meister Potnir, einem chronisch depressiven Thaumaturgen der siebten Stufe, der sich an einem herbstlichen Zweitag auf der Brücke durch einen mächtigen Explosivglobulus ins Jenseits beförderte – sich und zwei Dutzend Landfrauen, die mit Säcken voller Kartoffeln und Wurzelrüben auf dem Weg zum Markt gewesen waren. Woran man sich auch zurückerinnern mochte, stets hatten die Geschehnisse um die Brücke mit Leid, Tod und Blut zu tun, nicht selten reichlich davon. Als Folge war es vor gut fünfhundert Jahren einem findigen Geschichtsschreiber eingefallen, bei König Kraninger V. eine Umbenennung des Bauwerks zu beantragen. Da deren bisheriger Name sich keines sonderlich hohen Ansehens erfreute (die Brücke war ursprünglich nach ihrem Erbauer, einem xamenischen Architekten namens Sül-Frazek benannt worden), stimmte der König zu. Seit jener Zeit trug die Klagebrücke ihren heutigen Namen.
    Jorge hatte nicht viel für geschichtliche Fakten übrig; genau genommen kannte er so gut wie keine. Seine persönliche Eselsbrücke, mit deren Hilfe er sich merkte, welcher der insgesamt zwei Dutzend steinernen Bögen und Stege, die die Ufer des Flusses miteinander verbanden, die Klagebrücke war, hatte etwas mit den zweihundertzweiundzwanzig fetten schweineartigen Kreaturen zu tun, die Sül-Frazek in die Außenseiten des Steinbogens hatte meißeln lassen; damit und mit einer gewissen trollspezifischen Betrübnis darüber, dass man sie nicht grillen und verspeisen konnte.
    Er hatte den südlichen Pfeiler der Brücke beinahe erreicht (mittlerweile atmete er nur noch durch den Mund, was die Widerwärtigkeit des Flusses allerdings nicht wirklich reduzierte, nur verlagerte), als er zu seiner Rechten, unter einer Gaslaterne, einen schnittigen Ein-Personen-Vulwoog erspähte, auf dessen Seite ein geflügeltes Droschkenrad prangte – das Emblem der Firma Rollwohl, wie Jorge sich erinnerte. Das Fahrzeug stand im Leerlauf am Straßenrand, der Chauffeur schien in eine angeregte Diskussion mit einer schmächtigen Gestalt vertieft, die neben dem hohen Fahrersitz stand und wild gestikulierte.
    Noch bevor Jorge den gespenstisch weißen Schimmer wahrnahm, den die Laterne auf das Gesicht des aufgebrachten Fahrgasts zauberte, vernahm er eine jugendlich helle Stimme, die ihm ausgesprochen vertraut war:
    »Sie belieben zu scherzen, mein Herr? Acht Silberkaunaps für die Strecke von Hammeln hierher? Das ist Wucher!«
    Der Chauffeur indes schien anderer Ansicht. »Hör mal, Bürschchen«, sagte er gönnerhaft. »Du kannst froh sein, dass ich dich überhaupt mitgenommen habe – mutterseelenallein, um diese Uhrzeit! Außerdem hab ich dir zu Beginn der Fahrt gesagt, dass es nicht billig wird. Entweder zahlst du, was mir zusteht, oder ich setze einen Wortwurf an die Zentrale ab. Dann sind im Handumdrehen ein paar Männer von der Stadtwache hier, und du kannst die Nacht im Heim verbringen! Willst du das etwa?« Die väterliche Fürsorge in seinen Worten war so schlecht geheuchelt, dass einem ausgewachsenen Troll davon schlecht werden konnte.
    »Ich … Sehen Sie das hier? Sehen Sie diesen Ring?« Mit mühsam unterdrücktem Hass hob der Junge seine Hand mit dem auffälligen Siegelring. Den Vulwoog-Fahrer schien das nicht sonderlich zu beeindrucken.
    Weitaus mehr beeindruckten ihn dagegen – zumindest seiner abrupt entgleisenden Mimik nach zu urteilen – die riesige, borstige Faust, die urplötzlich vor seinem Gesicht auftauchte, und die raue Stimme, die dicht neben seinem Ohr zischte: »Siehst du das hier? Siehst du diese Faust?«
    Ein bebendes Nicken bestätigte, dass der Chauffeur die Faust sehr wohl sah und ihr zerstörerisches Potenzial ungefähr einzuschätzen vermochte.
    »Dann lass doch bitte noch mal hören, was du für die Fahrt verlangst, bei Batardos!«, fuhr Jorge fort. Sein freundlicher Tonfall ließ die unausgesprochene Drohung seiner Faust nochmals gefährlicher wirken. »Vorher will ich dir allerdings noch ein altes Trollsprichwort mit auf den Weg geben, das dir möglicherweise hilft, den Betrag zu errechnen. Es geht so: Wer versucht, den Kumpel eines Trolls zu bescheißen, wird für den Rest seines Lebens keine

Weitere Kostenlose Bücher