Der Elbenschlaechter
völlig fehlt?«
Jorge nickte. »Das Motiv. Ulph hätte nicht den geringsten Grund, den Mörder zu decken.«
»Quintessenziell, lieber Freund. Was für ein Interesse sollte er an makaberen Experimenten mit Blut und Sperma von Elbenjüng …« Unvermittelt hielt er inne.
»Was ist?«
Es dauerte einige Augenblicke, bis Hippolit aus einer Dunstschwade heraus antwortete. »Nichts. Ich dachte nur gerade … Du sagtest doch, dass Ulph einen Groll gegen Versierte hegt. Aus Gründen, die wir bereits kennen: Da sind diese Verwandten, die von Thaumaturgen umgebracht wurden oder unter den Auswirkungen Letaler Flüche dahinsiechen.«
»Genauso sieht s aus. Aber was …?«
»Weiter haben wir seine kryptische Bemerkung, dass die Taten des Elbenschlächters vor allem den Nicht-Versierten zugutekämen.«
»Exakt.« Jorge wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn, wobei er hoffte, dass sich unter ihm, am Boden des Tempels, gerade niemand aufhielt. Die Schweißtropfen, die sich aus seiner Achselhöhle lösten und lautlos in die Tiefe segelten, hätten einen ausgewachsenen Ochsen erschlagen. »Du, M.H.? Ich will mich ja nicht beschweren, aber allmählich wird’s hier oben ganz schön heiß. Wir Trolle haben da ein Sprichwort, und es geht so: Wie kommen wir eigentlich wieder runter, wenn wir genug durch die Gegend geschwebt sind?«
Doch Hippolit hatte sich offenbar auf das Gedankenspiel eingelassen, das Jorge zuvor begonnen hatte, und hörte gar nicht mehr zu. »Nehmen wir rein hypothetisch an, Ulph kutschiert tatsächlich heimlich den Elbenschlächter mit einem Vulwoog der Firma Norrick & Borrick durch den Pfuhl. Nehmen wir weiter an, dass es dieser Unbekannte ist, der den automatischen Wortwurf des Gefährts irgendwie manipuliert.«
»Sag ich doch. Dann würde alles passen! Bliebe lediglich die Frage nach dem Motiv, wie du eben goldrichtig …«
Hippolits Fuß, wie der Rest seines Körpers in ständiger träger Rotation begriffen, stieß leicht gegen Jorges Oberschenkel.
»Vorsicht, M.H.! Hier oben sind noch andere Entspannte unterwegs.«
»Wie hört sich Folgendes an, Jorge: Könnte der Täter – wer auch immer er ist, wie sein Motiv auch aussehen mag – Ulph weisgemacht haben, seine Experimente mit Elbenblut dienten der Nutzbarmachung thaumaturgischer Praktiken für jedermann?«
»Bitte was?« Jorge versuchte, seinen Körper in der entgegengesetzten Richtung kreisen zu lassen, um einer weiteren Kollision mit seinem Vorgesetzten vorzubeugen, aber er scheiterte. »Das ist doch Humbug. Wer nicht versiert ist, kann auch keine thaumaturgischen Praktiken anwenden. Warum sollte der Mörder seinem Fahrer so einen saudummen Quatsch erzählen?«
»Um sich Ulphs Loyalität zu sichern! Und seine Verschwiegenheit!« Hippolits Stimme war seine wachsende Aufregung deutlich anzuhören. »Wäre das nicht etwas, das sich Ulph aus nachvollziehbaren Gründen mehr wünscht als alles andere?«
»Ich verstehe nur Krügerschwein! Warum sollte er sich das wünschen?«
»Wenn er Thaumaturg wäre, könnte er selbst seine todgeweihte Sippschaft heilen – seine Tante und seinen Bruder. Er wäre nicht mehr auf immense Geldmittel angewiesen, die er zeit seines Lebens niemals zusammentragen kann. Und er könnte den Tod seiner Mutter rächen, die durch den Pfusch eines medizinisch-thaumaturgischen Heilers ums Leben gekommen ist.«
Jorge runzelte die Stirn. »Dann müsste unser Unbekannter aber über eine starke Beeinflussungsgabe verfügen. Oder Ulph ist noch naiver, als ich dachte.«
»Du vergisst, dass er verzweifelt ist. Verzweifelte klammern sich an jeden Strohhalm. Verzweifelte handeln verzweifelt, nicht rational.«
Jorge stieß ein leises Prusten aus. »Das kommt mir auch so vor. Wir müssen echt verzweifelt sein, wenn wir uns an so eine absurde Theorie klammern!«
Hippolit erwiderte nichts, bedachte seinen Assistenten lediglich mit einem ärgerlichen Seitenblick.
Während der letzten Minuten mussten sie, ohne dass Jorge es bemerkt hatte, beständig gesunken sein. Unvermittelt tauchte unter ihm der Boden aus dem Nebel auf, und Sekunden später stand er wieder fest auf seinen Füßen. Hippolit landete keine zwei Schritte entfernt.
»Verstehe ich dich richtig, M.H.«, hob Jorge an und zog den Knoten seines Badetuchs fester, um zu verhindern, dass es zu Boden fiel, »du hältst es also für einen guten Plan, dass wir uns den alten Ulph noch mal ausgiebig vorknöpfen?«
Hippolit hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte
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