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Der Elbenschlaechter

Der Elbenschlaechter

Titel: Der Elbenschlaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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farblose, leicht verwaschene Fothaum-Aufnahme, ein Bild, das mithilfe einer neuartigen, halb mechanischen, halb thaumaturgischen Technik erstellt worden war. Das Verfahren hatte sich schnell durchgesetzt, mittlerweile gehörten Fothaumatographen, die mit ihrer Ausrüstung von Haus zu Haus zogen, um Familienaufnahmen oder Porträts zu erstellen, in Nophelet zum Alltagsbild.
    Ein fahrender Bildermacher schien es auch gewesen zu sein, der dieses Bild aufgenommen hatte. Es zeigte eine Frau von schätzungsweise fünfzig oder sechzig Jahren, im Bett liegend, halb begraben unter einem Berg aus Kissen und Decken. Soweit man es durch die Unscharfe der Fothaumatographie erkennen konnte, war ihr Gesicht, ehemals fraglos hübsch und ebenmäßig, auf grässliche Weise ausgezehrt; Kinn und Wangenknochen traten spitz hervor, die Finger, die sich in den Stoff der Decken krallten, waren dürr wie die eines Skeletts.
    Ulph stieß ein leises Schluchzen aus. »Ich … es gibt kein Bild von ihr aus der Zeit vor dem Fluch«, stammelte er. »Ich wollte wenigstens eines haben, damit … bevor sie stirbt, sie …« Er brach ab, zog vernehmlich Rotz in der Nase hoch.
    Hippolit stellte das Bild zurück, musterte flüchtig die benachbarte Aufnahme, die einen Mann in Ulphs Alter zeigte, der dem Chauffeur auffallend ähnlich sah. Auch er lag in einem Bett, das sich jedoch eher wie eine Krankenliege in einer medizinisch-thaumaturgischen Klinik ausnahm. Im Gegensatz zu den Augen der Frau waren seine geöffnet, schielten starr zu einer unsichtbaren Decke empor.
    »Lieber Freund«, hob Hippolit von Neuem an und kehrte zu dem nach wie vor an der Wand lehnenden Chauffeur zurück. »Ich will offen zu Ihnen sein: Sie haben zwei Optionen. Die erste besteht darin, dass Sie mit uns kooperieren. Das heißt, Sie beantworten unsere Fragen, und zwar alle, wahrheitsgemäß …«
    »Und die andere?« Ulphs Stimme klang plötzlich erheblich trotziger als zuvor. Der Gedanke an seine im Siechtum liegende Verwandtschaft schien in seinem Innern einen Schalter umgelegt zu haben.
    »Nun ja. Oder Sie kooperieren nicht mit uns«, fuhr Hippolit bedächtig fort.
    »Und was geschieht dann?«, schnappte Ulph. »Wollen Sie mich vielleicht von Ihrem Kumpel hier zusammenschlagen lassen?«
    Interessiert trat Jorge näher. »Gute Frage eigentlich, M.H. Willst du das?«
    Hippolit schüttelte sanft den Kopf. »Du weißt so gut wie ich, wie sich die Vorschriften des Instituts in Bezug auf die körperliche Misshandlung zu vernehmender Individuen äußern.«
    Jorge überlegte angestrengt. »Sie gestatten sie nur in Notfällen?«
    »Sie untersagen sie strikt!«
    Ulph, der so etwas geahnt zu haben schien, atmete hörbar auf.
    »Aus diesem Grund habe ich heute Mittag, im Anschluss an unseren Termin bei Madame Ganda, dem Institut einen Besuch abgestattet.« Mit gespielter Langeweile betrachtete Hippolit seine weißen Fingernägel.
    »Du warst beim Maul?«, erkundigte sich Jorge, der seine Enttäuschung über die entgangene Züchtigung des Chauffeurs prompt vergaß. »Wozu?«
    »Um eine Sondergenehmigung zu erwirken«, erwiderte Hippolit und bückte sich nach seinem Trageköfferchen. »Wie üblich war es ein endloses Hin und Her, du weißt schon: Dringlichkeitsbescheinigung, thaumaturgische Verlaufsprognose, Vorlage von Diplom und Adeptenbescheinigung, Unbedenklichkeitsreferenzen, das ganze Programm. Aber nachdem der Papierkrieg beigelegt war, hatte ich die Erlaubnis im Sack.« Er öffnete den Koffer und begann, darin zu wühlen.
    »Die Erlaubnis?«, wiederholte Jorge.
    »Was für eine Erlaubnis?«, erkundigte sich Ulph.
    »Ich gehe recht in der Annahme, dass Sie nicht beabsichtigen, mit uns zu kooperieren, Herr Ulph?«, fragte Hippolit, ohne aufzusehen.
    »Warum sollte ich? Ich weiß ja nicht mal, was Sie eigentlich von mir wollen! Nur, weil ich im Suff irgendeinen Blödsinn rausgelassen habe, können Sie mich nicht behandeln wie …«
    »Jorge?« Hippolits aus den Tiefen des weißen Kastens zurückkehrende Hand hielt mehrere kurze Stricke in die Höhe. »Sei so freundlich und fessle Herrn Ulph an einen Stuhl.«
    Erfreut machte sich Jorge an die Arbeit. Die erbosten Schreie des Chauffeurs ignorierte er ebenso gekonnt wie dessen lahme Gegenwehr.
    Kaum zwei Minuten später hockte Ulph auf dem einzigen intakten Sitzmöbel seiner Wohnstatt, die Hände hinter der Lehne gefesselt, die Fußgelenke fest an die vorderen Stuhlbeine geknotet.
    »Gut so?«, erkundigte sich Jorge

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