Der Elefant verschwindet
öfter. Nach dem Essen gingen wir in die Diskothek und tanzten ungefähr zwei Stunden. Im Saal war es angenehm warm, und ein Geruch von Schweiß und Räucherstäbchen, die jemand abgebrannt hatte, hing in der Luft. Eine philippinische Band spielte eine Art Santana-Verschnitt. Wenn wir ins Schwitzen gerieten, setzten wir uns und tranken ein Bier, und wenn wir uns abgekühlt hatten, tanzten wir wieder. Ab und zu wurde das Stroboskoplicht eingeschaltet. Sie sah darin ganz anders aus als im Lagerhaus. Bald genoss sie das Tanzen richtig.
Als wir schließlich nicht mehr konnten, gingen wir raus. Ein kalter Märzabendwind wehte, doch man konnte schon den Frühling ahnen. Uns war noch immer heiß, und mit den Mänteln in der Hand spazierten wir ziellos in der Stadt herum. Wir machten einen Abstecher in einen Spielsalon, tranken einen Kaffee und schlenderten wieder weiter. Die Hälfte der Frühlingsferien lag noch vor uns, doch vor allem waren wir erst neunzehn. Hätte uns jemand befohlen, weiterzulaufen, wären wir vielleicht bis ans Ufer des Tamagawa gegangen. Noch heute kann ich die Stimmung der Abendluft spüren.
Um zwanzig nach zehn meinte sie, dass sie langsam nach Hause müsse.
»Ich muss bis elf Uhr zurück sein«, entschuldigte sie sich fast bei mir.
»Das ist ziemlich streng«, sagte ich.
»Ja, mein Bruder ist da sehr genau. Er will den Beschützer spielen. Aber da er sich nun mal um mich kümmert, kann ich mich nicht beklagen.« An ihrer Art zu sprechen merkte man, wie sehr sie ihren Bruder liebte.
»Vergiss deine Schuhe nicht«, sagte ich.
»Was für Schuhe?« Nach fünf, sechs Schritten lachte sie auf. »Ach, Aschenputtel. Keine Angst, ich vergesse sie schon nicht.«
Wir liefen die Treppe im Bahnhof Shinjuku rauf und setzten uns nebeneinander auf eine Bank.
»Gibst du mir deine Telefonnummer?«, fragte ich sie. »Lass uns doch noch mal irgendwohin ausgehen.«
Sie nickte mehrmals mit geschlossenen Lippen. Sie gab mir ihre Telefonnummer. Ich schrieb sie mit dem Kugelschreiber auf die Rückseite eines Streichholzbriefchens aus der Diskothek. Die Bahn kam, ich wartete, bis sie eingestiegen war, und wünschte ihr eine gute Nacht. Es hat Spaß gemacht, vielen Dank und hoffentlich bis bald. Als sich die Türen schlossen und die Bahn anfuhr, ging ich auf die andere Seite des Bahnsteigs und wartete auf meine Bahn nach Ikebukuro. Ich lehnte mich an eine Säule, und während ich eine Zigarette rauchte, ließ ich mir den Abend noch einmal durch den Kopf gehen. Vom Restaurant und der Disco bis zum Spaziergang. Nicht schlecht, dachte ich. Es war lange her, dass ich mit einem Mädchen verabredet gewesen war. Ich hatte mich amüsiert, und ihr hatte es auch Spaß gemacht. Wir würden zumindest Freunde werden. Sie war etwas zu schweigsam und manchmal auch etwas nervös. Aber ich mochte sie intuitiv gern.
Ich trat die Zigarette aus und zündete mir eine neue an. Die Geräusche der Stadt mischten sich und verhallten undeutlich in der lauen Finsternis. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein. Nichts ist schiefgegangen, dachte ich. Doch seit wir uns verabschiedet hatten, steckte mir irgendein komisches Gefühl im Hals. Ich wollte es hinunterschlucken, aber das ging nicht, irgendetwas Raues blieb. Etwas stimmte nicht. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich einen ganz blöden Fehler gemacht.
Als ich in Mejiro aus dem Zug der Yamanote-Linie stieg, begriff ich endlich. Ich hatte sie in die entgegengesetzte Richtung der Yamanote-Linie gesetzt .
Ich wohnte in Mejiro, vier Stationen vor Komagome, sie hätte also die gleiche Bahn wie ich nehmen müssen. Es wäre so einfach gewesen. Warum hatte ich sie bloß in die falsche Bahn gesetzt? Hatte ich zu viel getrunken? Vielleicht war mein Kopf zu voll mit eigenen Dingen. Die Uhr am Bahnhof zeigte Viertel vor elf. Sie würde es wahrscheinlich nicht mehr rechtzeitig schaffen. Es sei denn, sie bemerkte meinen Fehler bald und stiege in die entgegengesetzte Richtung um. Aber das glaubte ich nicht. Sie war nicht der Typ dazu. Sie gehörte zu denen, die bis zum Schluss in der falschen Bahn sitzen blieben, in die man sie gesetzt hatte. Eigentlich muss ihr doch gleich zu Anfang aufgefallen sein, dass sie in die falsche Bahn gestiegen war. Wie blöd, dachte ich.
Um zehn nach elf erschien sie dann in Komagome. Als sie mich an der Treppe stehen sah, hielt sie inne, mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, als wisse sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Ich nahm ihren Arm, setzte sie auf
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