Der Elefanten-Tempel
ging es ihr durch den Kopf. Dabei kennst du ihn überhaupt nicht, du hast noch nie mit ihm gesprochen und in weniger als zwei Wochen reist du wieder ab! Der pure Wahnsinn.
Doch es nutzte nichts.
Das Kribbeln blieb.Auf dem Markt von Lampang war schon bei Sonnenaufgang ganz schön was los. Gut gelaunt schlängelte sich Ricarda hinter Gulap durch die Menge. Dicht an dicht standen auf Tischen und auf dem Boden Plastikkörbe und Strohschalen, randvoll mit Gemüse, Gewürzen und anderen Zutaten: kleine rot leuchtende Chilis, knallgrüne Limonen, gebündelte Zitronengras-Stängel und noch zwei Dutzend andere Gemüsesorten, die Ricarda noch nie gesehen hatte, gleich daneben getrocknete Fischchen, Krabben und – bäh! – geröstete Heuschrecken und fingerlange Käfer.
Gulap deutete auf einen Stapel nach dem anderen – zum Glück nicht auf den mit den Heuschrecken –, verhandelte kurz den Preis, bezahlte, und Ricarda bekam eine weitere Tüte zum Tragen. Anerkennend tätschelte ihr Gulap den Arm, anscheinend freute sie sich darüber, Unterstützung beim Einkaufen zu haben.
Auch Ricarda freute sich, sie genoss den bunten, chaotischen Markt. Und wie es hier roch! Es duftete nach Chili, Safran und frischem Koriander, außerdem hing der Geruch von gebratenem Reis und Fisch in der Luft, denn in den vielen Garküchen am Straßenrand brodelte es längst. Es waren einfache Blechkarren mit einer Kochstelle und ein paar Softdrinks im Angebot; die ganz luxuriösen trumpften mit Plastikhockern für die Kunden auf. Tao zupfte sie am Ärmel, deutete auf die Garküchen und dann auf Gulap und erklärte irgendetwas in Thai, aber Ricarda kapierte erst nicht, was er meinte.
»Hat sie jetzt Hunger, sollen wir hier was essen? Nein, wir haben doch schon gefrühstückt … Was meinst du? Gulap hat irgendwas mit den Ständen zu tun?«
Tao schüttelte den Kopf.
»Oder, hm, hat Gulap früher einmal selbst eine Garküche geführt?«
Tao nickte heftig, sein Gesicht leuchtete auf.
Aha, deshalb konnte Gulap so schnell und gut kochen! Vielleicht hatten sie und Ruang sich sogar an einem dieser Marktstände kennengelernt …
Gulap steckte Tao eine Münze zu, er rannte zu einem der Straßenstände und kam mit einem Plastikbeutel zurück, in dem eine braune Flüssigkeit schwappte. Oben drin steckte ein Strohhalm. »Coke«, sagte Tao strahlend und begann an dem Strohhalm zu saugen.
»Hey, du kannst ja doch ein Wort Englisch«, meinte Ricarda und lächelte.
Tao schüttelte den Kopf und hielt drei Finger hoch.
»Drei Wörter? Toll. Welche denn noch?«
»Fucking hell!« sagte Tao stolz und Gulap nickte lächelnd.
»Äh, ja«, sagte Ricarda und lächelte zurück. »Das ist sicher manchmal sehr praktisch.«
Sie sah eine Gruppe von Mönchen herannahen. Schmale, barfuß gehende Gestalten in orangefarbener Robe, das Haar völlig abrasiert oder so kurz, dass es nur ein dunkler Schatten auf ihren Köpfen war. Einpaar Menschen scharten sich schon um sie, näherten sich ehrfürchtig oder knieten sich vor sie und reichten ihnen kleine Beutel oder Dosen mit Speisen. Ein Mann hatte sogar einen orangefarbenen Eimer dabei, in dem, soweit Ricarda erkennen konnte, sich alle möglichen Fertiggerichte befanden. Vielleicht konnte man diese Mönchs-Eimer im Laden kaufen, Spendenopfer leicht gemacht.
Einige Mönche hielten große Schalen, in die die Menschen ihre Gaben legen konnten. Doch nur die Männer taten tatsächlich etwas hinein, die Frauen stellten ihre Spende auf den Boden.
Mit einer hastigen Pantomime zeigte Tao ihr, dass Frauen einen Mönch niemals berühren durften. Er selbst übernahm es, einem der heiligen Männer Gulaps Opfergabe zu überreichen. Mit unbewegtem Gesicht nahm der Mönch sie entgegen und ging weiter, als habe er Tao nicht bemerkt. Auch alle anderen Spenden empfingen die Mönche ohne Regung, ohne Dank. Respektvoll grüßten Gulap und Tao die vorbeischreitenden Männer mit einem tiefen Wai , und Ricarda machte es ihnen nach, verbeugte sich mit gefalteten Händen.
Es fühlte sich faszinierend und wunderbar fremdartig an, Teil dieses Rituals zu sein. Und das alles hätte ich verpasst, wenn ich nach Arles mitgefahren wäre!, ging es Ricarda durch den Kopf, und wieder einmal war sie unglaublich dankbar, dass alles geklappt hatte, dass sie tatsächlich nach Thailand geflogen war.
Zurück im Refuge meinte Ricarda zu Chanida: »Ich bin echt froh, dass ich mit Gulap zum Markt gegangen bin. Es war spannend, den Mönchen zu begegnen.«
Chanida
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