Der Elefanten-Tempel
schon nach einer Minute war sie mit den beiden Statuen zurück und gab Ricarda das Wechselgeld. Auch Sofia war verdutzt. »Musstest du gar nicht handeln?«
»Der Preis war in Ordnung«, winkte Chanida ab. »Und wer zu viel feilscht, der verliert sein Gesicht, weil es so wirkt, als wäre er arm.«
Ricarda nickte und brachte die beiden Statuetten in ihren Rucksack unter. Sie hatte schon einmal davongelesen, dass es in asiatischen Ländern sehr viel bedeutete, »das Gesicht zu wahren«. Sich zu blamieren, das Gesicht zu verlieren, war fast das Schlimmste, was einem Asiaten passieren konnte. Aber dass das auch beim Handeln galt, hätte sie nicht gedacht …
Das Hochgefühl, so schöne Dinge gekauft zu haben, hielt nicht lange an. Der Bürgersteig war dermaßen vollgestellt mit geparkten Mopeds, auf Tischchen ausgebreiteten Waren, Garküchen und Werbeschildern, dass man höchstens zu zweit nebeneinander gehen konnte. In der Praxis sah das so aus, dass Sofia und Chanida sich angeregt unterhielten und Ricarda schweigend hinterherzockelte. Ein paarmal versuchte sie sich ins Gespräch einzuklinken, aber das war genauso sinnlos wie der Versuch, zu dritt nebeneinander zu gehen. Drei ist keine gute Zahl, um zusammen etwas zu unternehmen, dachte Ricarda bitter. Einer wird immer zurückgelassen.
Sie sehnte sich danach, zurückzufahren ins Refuge, zu Daeng mit ihren freundlichen dunklen Augen, zu Tao, der keine Worte brauchte, um sie zu verstehen, zu Nuan, dessen Geheimnisse so viel leichter zu ertragen waren als dieses Gefühl, ausgeschlossen zu sein.
»He, sag mal, was ist los?« Sofia hatte es also gemerkt. Doch als sie »Bist du wegen irgendwas eingeschnappt oder so?« hinzufügte, klang es wie ein Vorwurf. Als sei es Ricardas Schuld, wenn sie keinen Spaß hatte.
Was, wenn sie jetzt »Ja« sagte? Dann würde Sofiasich vielleicht ihretwegen schuldig fühlen, sich wahrscheinlich ärgern darüber, dass Ricarda so empfindlich und leicht beleidigt war.
»Nein, alles okay«, log Ricarda, zwang sich zu einem fröhlichen Gesicht und dazu, Chanida ein paar Fragen über die Geschichte der Tempel zu stellen. Pflichtschuldig bewunderte sie die lebensgroßen Steinelefanten, die im Wat Chiang Man einen Turm stützten, und ließ Chanidas Erklärungen über sich hinwegrauschen. Wirklich fasziniert war sie nur, als Chanida einen kleinen Umschlag mit drei Blattgoldfolien auspackte.
»Hey, echtes Gold«, staunte Sofia. »Was machst du damit?«
»Das ist eine Opfergabe.« Respektvoll klebte Chanida das Blattgold auf eine Buddha-Statue im Tempel und rubbelte es fest. Anscheinend hatten schon viele andere Menschen so etwas getan, die Statue war auf dem Weg des Do-it-yourself komplett vergoldet worden. Es sah allerdings ziemlich fleckig aus.
»Wieso hast du das Gold gerade auf die Schulter von Buddha geklebt, hat das eine besondere Bedeutung?«, fragte Ricarda neugierig.
Chanida tupfte sich mit dem Finger auf die eigene rechte Schulter. »Meine Schulter schmerzt manchmal, wahrscheinlich von der Arbeit mit den Elefanten. Ich bete und opfere, damit der Schmerz vergeht. Also kommt das Gold auf die Schulter von Buddha.«
Das Blattgold hielt nicht besonders gut. Ricardasah kleine Fetzen davon überall im Tempel herumfliegen und am Ausgang bemerkte sie, dass es ihr sogar an den Schuhen klebte. Hoffentlich war wenigstens Chanidas Opfergabe an der Statue hängen geblieben.
In der Straße, die zum Tempel führte, konnten Gläubige alles erwerben, was man für einen Besuch im Wat so brauchte, zum Beispiel Kerzen, Räucherstäbchen und Glück bringende Amulette, die von den Mönchen gesegnet worden waren. Doch am dichtesten umlagert war ein Stand, der anscheinend bunt bedruckte Papierzettel verkaufte.
»Was gibt’s da?«, rätselte Sofia. »Eintrittskarten ins Nirwana?«
Ricarda versuchte sich daran zu erinnern, was sie über das Nirwana wusste. Es war das große Ziel, das alle Buddhisten zu erreichen hofften. Aufgehen im Nichts, in der Vollkommenheit. Nie mehr wiedergeboren zu werden, den endlosen Kreislauf zu durchbrechen. Nee, Eintrittskarten brauchte man dafür sicher nicht.
Falls Chanida fand, dass Sofia mit der Bemerkung ihr Gesicht verloren hatte, ließ sie es sich nicht anmerken. »Nein, ins niphaan , ins Nirwana, kommt man nur durch viel Meditieren. Kaufen kann man aber Lotterielose.«
Eifrig zog sie Sofia und Ricarda näher zu dem Stand hin, ihre Augen glänzten. Chanida betrachtete die Lose und betastete sie, studierte die Nummern
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