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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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Lächeln.
    Sofia ließ die Kette fallen, zuckte die Schultern, murmelte »Sorry« und ging davon. Doch Ricarda konnte sich nicht bewegen, nicht sprechen. Ohne sie anzusehen, machte sich Nuan daran, seine Ausrüstung einzusammeln, und hängte sich seine Tascheüber die Schulter. Jetzt waren die Bücher wieder verborgen, geschützt vor Sonne und Regen und neugierigen Blicken.
    Er wirkte etwas entspannter. Jetzt konnte sie ihn fragen. Fragen, was ihm die Bücher bedeuteten. Fragen, wie er sie bekommen hatte. Ihm erzählen, was sie empfunden hatte, als sie das »Dschungelbuch« als Kind zum ersten Mal gelesen hatte. Wie sie sich gewünscht hatte, mit Tieren auch so sprechen zu können wie Mogli, mit ihnen zu leben, von ihnen das Gesetz des Dschungels zu lernen.
    Kein Wort kam aus ihrem Mund.
    Er richtete sich auf, maß sie mit einem Blick, und immerhin, sie schaffte es, diesem Blick zu begegnen. Einen Wimpernschlag lang sahen sie sich an und diesmal tanzte ein kleiner Sonnenfunke in seinen Augen. Dann schlang er sich die Kette über die Schulter, um sie leichter tragen zu können, das Metall sang einen klingenden Chor.
    »Daeng achtet dich«, sagte er beiläufig. »Das ist gut. Du machst es richtig.«
    Dann wandte er sich um und ging davon.
    Ricarda erwachte aus ihrer Erstarrung. Spürte dem Moment, Nuans Worten nach und staunte darüber. Anscheinend hatte auch er sie beobachtet, er achtete darauf, was sie tat! Andererseits hieß das noch gar nichts, er konnte es ja schlecht übersehen, wenn sie ihre Elefantin im Fluss neben ihm wusch.
    Wut auf sich selbst stieg in ihr auf, heiß undbrennend wie Magma aus dem Schlund eines Vulkans, und verdampfte die angenehmen Gedanken. Stattdessen schleuderte ihr Inneres neue Gedanken heraus, die wehtaten. Wie soll er sich für mich interessieren, wenn ich kein Wort rausbekomme? Ich habe dagestanden wie ein Baum, wie ein Pfahl, wie ein Stück Felsen. Das Lotterielos in ihrer Tasche – sie hatte es völlig vergessen und nicht eine Sekunde lang daran gedacht, es ihm zu geben. Und das war gut so. Wie dumm und unpassend hätte es gewirkt, ihm so etwas zu schenken. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Morgen würde sie das blöde Ding Kaeo in die Hand drücken.
    »Also, dieser Nuan ist bei mir echt unten durch«, schimpfte Sofia, als sie außer Hörweite waren. »Regt sich dermaßen auf, nur weil ich diese komische Kette angefasst habe. Ich fand ihn von Anfang an ziemlich eigenartig.«
    Die Bemerkungen über Nuan wühlten in Ricardas Eingeweiden. Nein, niemals konnte sie mit Sofia darüber reden, was Nuan ihr bedeutete.
    Beim Abendessen im Haupthaus, als sie mit Ruangs Familie auf dem polierten Holzboden saßen, gab Sofia ein wenig verlegen zum Besten, was passiert war. Eine Weile sagte niemand ein Wort und Ricarda spürte, dass das ein schlechtes Zeichen war. Schließlich meinte Ruang beiläufig: »Es ist eine alte Tradition der Elefantenleute von Surin, dass keine Frau ihre Ausrüstung berühren darf. Okay?«
    Sofia blickte erschrocken drein. »Oje, das wusste ich nicht. Mist, das tut mir echt leid! Morgen entschuldige ich mich bei Nuan.«
    Ja, das ist besser so, dachte Ricarda. Selbst wenn diese eigenartige Tradition nicht wäre – niemand mochte es gerne, wenn man in seinen Sachen herumstöberte, und wahrscheinlich hatte es Nuan so empfunden. »Wozu braucht man eigentlich solche Ketten?«
    »Ich denke, er wird sie auf seiner Reise hierher gebraucht haben, um Devi nachts an einem Baum festzumachen«, erklärte Ruang. »Selbst ein so weiser Elefant wie sie kann der Versuchung nicht widerstehen, auszureißen, wenn nebenan ein Feld mit leckeren saftigen Pflanzen lockt. Für die Bauern ist das kein Scherz; wenn sie sonst nichts besitzen, müssen sie hungern.«
    Ricarda nickte. Die Riesenfüße der Elefanten konnten in einem Feld sicher einiges anrichten.
    Wieder einmal goss sich Ruang etwas aus seiner geheimnisvollen Thermoskanne ein und schlürfte es mit achtungsvoller Miene. Das lenkte Ricarda einen Moment lang von ihren Gedanken an Nuan und Devi ab. »Hast du eine Ahnung, was für ein Zeug da drin ist?«, flüsterte sie Sofia auf Deutsch zu.
    »Eisgekühlter Guavensaft mit ein paar Kräuterextrakten«, wisperte Sofia zurück. »Das hat ihm mal ein Schamane, so eine Art Dorfarzt und Magier, gegen Haarausfall empfohlen.«
    Ricarda konnte nicht beurteilen, ob Schamanenwirklich brauchbare Ärzte waren – aber der Guavensaft schien zu wirken. Haare hatte Ruang nämlich jede Menge.
    »Gulap

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