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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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mit Daeng. Er war der geduldigste Mensch, den sie kannte. Keine Ahnung, wieso sie ihn vergessen hatte. Mist!
    Dafür hatte sie an ein Mitbringsel für Daeng gedacht – eine Tüte ungeröstete Erdnüsse. Während der Mittagspause, in der die Elefanten unter einem Schatten spendenden Baum dösten, schlenderten Ricarda und Sofia über das Gelände. Ricarda genoss es, dass Chanida noch in der Schule war; am Nachmittag würde sie auch nicht aufkreuzen, sie blieb in Lampang und traf sich mit Freunden.
    »Wollen wir noch ein bisschen mit Noi spielen?«, schlug Ricarda vor und Sofia nickte sofort. »Ja, klar. Die Kleine ist so süß. Vielleicht Tauziehen, das findet sie lustig.«
    Doch diesmal klappte es nicht, Noi erschreckte sich vor Ricardas Käppi, das ein Windstoß ihr vom Kopf wehte, und hastete quiekend zu ihrer Mutter, der halb blinden Mae Lom, zurück. Mae Lom steckte ihrer Kleinen den Rüssel ins Maul und sofort beruhigte sich Noi.
    »Funktioniert wie ein Schnuller.« Ricarda musstelächeln. Kleine Elefanten hatten sowieso vieles von Kindern an sich – zum Beispiel hielt Noi regelmäßig ein Mittagsschläfchen. Hingestreckt lag sie dann auf dem Boden, das große Ohr wie ein Blatt über ihr Gesicht gebreitet, während ihre Mutter oder eins der anderen Weibchen über ihr stand und sie vor der Sonne schützte.
    »Weißt du, wem die Sachen gehören?« Sofia war zum Rand des Platzes geschlendert. Dort lagen ein zusammengerolltes Seil, eine Kette und eine abgewetzte braune Tasche, die halb offen stand. Sofia warf einen Blick hinein. »He, schau mal, irgendjemand hier liest gerne Kinderbücher.«
    Neugierig kam Ricarda näher. Tatsächlich, in der Tasche war ein völlig zerlesenes englisches Exemplar des »Dschungelbuchs« von Kipling, außerdem »Alice in Wonderland« und »Peter Pan«.
    »Vielleicht Jack oder Seven«, meinte Ricarda. »Die haben sich ja englische Spitznamen zugelegt.« Doch irgendwie passte es zu keinem der beiden, ihre Lieblingsbeschäftigungen hatten nicht unbedingt mit Wörtern zu tun – tagsüber spielten sie in den Pausen Takraw , bei dem es darum ging, mit den Füßen und dem Kopf einen Rattan-Ball in der Luft zu halten, und abends hockten sie gerne, ein Singha-Bier in der Hand, mit den anderen Mahouts zusammen und plauderten. Bücher? Nein, das war eher nicht ihr Ding.
    Sofia überlegte. »Kaeo? Der kann gut Englisch, der könnte so was lesen.«
    »Na ja, der hängt abends meistens vor dem Fernseher und schaut sich Kickboxen an.« Noch während sie sprach, dämmerte es Ricarda, wem die Tasche gehörte. Ihr Mund schloss sich wie von selbst, als könnte es den Zauber brechen, wenn sie es aussprach. Sie stellte sich vor, wie Nuan unter einem Baum in seinem Dorf lag und las, während Devi in der Nähe Bambus kaute. Wie oft er das »Dschungelbuch« wohl schon in der Hand gehabt hatte, hatte er daraus so gut Englisch gelernt? Hatte er gestaunt über die komische Fantasie der Europäer, während er »Alice in Wonderland« las?
    »Würde mich mal interessieren, was das für eine Kette ist«, meinte Sofia. Sie hatte sich hingehockt, jetzt ließ sie die fingerlangen Kettenglieder durch die Hände gleiten. Mit einem Klirren zeichneten sie neue Muster auf den Boden.
    Dann waren sie plötzlich nicht mehr allein, wie ein Schatten war jemand neben ihnen aufgetaucht. Eine geschmeidige Gestalt. Nuan!
    Sein Gesicht war regungslos, erstarrt, aber Ricarda spürte, dass er innerlich vor Wut bebte.

Im Namen der Tradition
    »What are you doing? Was macht ihr?« Seine Stimme klang gepresst und an seinem Hals traten die Sehnen hervor, so angespannt war sein Körper.
    Einen Moment lang fürchtete Ricarda, Nuan würde Sofia die Kette aus der Hand schlagen. Auch Sofia spürte es, denn sie richtete sich schnell wieder auf und machte einen Schritt zurück. »Ich habe sie nur mal kurz in die Hand genommen, um zu sehen, wie schwer sie ist.«
    Nuans Augen waren dunkel wie eine mondlose Nacht. »Tu das nicht. Leg sie hin.«
    Ricarda atmete ganz flach, so als könne sie sich dadurch unsichtbar machen. Hoffte, dass er sie nicht ansah, nein, um diesen Blick beneidete sie Sofia nicht. Und doch war auch dieser Moment kostbar, denn so nah waren sie sich noch nie gewesen. Er roch nach dem Rauch eines Holzfeuers und dem erdigen, kräftigen Geruch der Elefanten. Sie konnte jede Linie des kleinen Buddha-Amuletts erkennen, das an einer metallenen Kette um seinen Hals hing. Auf dem Gesicht des Buddhas lag ein traumversunkenes

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