Der Elefanten-Tempel
zurückgekommen.
Und jetzt? Würde sich alles wiederholen?
Nach dem Essen im Haupthaus wollte Ricarda lieber allein sein, allein mit dem Mangobaum, mit den Elefanten, die in der Dunkelheit schnaubten, und mit den Geistern, die den winzigen Tempel neben dem Haus bewohnten. Die ließen sie in Ruhe, kümmerten sich um den Schutz des Hauses und waren anscheinend zufrieden mit den Schälchen Reis und Cola, die Kaeo ihnen pflichtbewusst gebracht hatte.
»Hab ein bisschen Kopfschmerzen«, meinteRicarda, nahm ein paar Genesungswünsche entgegen und wanderte in der Dämmerung zurück zu ihrer Hütte.
Dann lag sie auf ihrem Bett und starrte durch den weißen Schleier des Moskitonetzes an die Decke. Ihre Gedanken fühlten sich an wie mit Stacheldraht umwickelt.
Bin ich jetzt für Sofia abgemeldet? Vielleicht. Und es ist meine Schuld. Warum bin ich nur so verdammt schüchtern? Ich traue mich nicht zu fragen, ich rede viel zu selten mit, und wenn doch, viel zu leise, sodass keiner zuhört. Ich hänge mich nur an sie dran, sie kümmert sich um fast alles. Warum habe ich mich in Bangkok nicht auch mal angestrengt und mit einem Tuk-Tuk-Fahrer den Preis verhandelt? Alles habe ich sie machen lassen, es war so schön bequem. Und jetzt Chanida. Sie ist viel witziger, unternehmungslustiger, selbstständiger als ich. Eigentlich passt sie viel besser zu Sofia als ich …
Es war ein schwacher Trost, dass sich in Deutschland möglicherweise alles wieder einpendeln würde, ihre Freundschaft vielleicht wieder das sein würde, was sie vor Kurzem noch gewesen war. Aber was, wenn nicht?
Ihre Gedanken wandten sich wieder Nuan zu. Sie dachte daran, wie er und Devi gespielt hatten, ließ noch einmal jeden Moment in ihrem Gedächtnis lebendig werden. Es war so herrlich, an ihn zu denken. Doch sie wusste, dass ihr das bald nicht mehr reichen würde. Bestimmt würden sie in Chiang Mai miteinander reden, sich besser kennenlernen können …
Als Sofia spät in der Nacht zurückkam, stellte Ricarda sich schlafend – und hasste sich auch dafür. Warum hatte sie nicht den Mut, jetzt alles anzusprechen und wenigstens ganz vernünftig zu klären, was zwischen ihnen stand?
Mit einem Seufzen kroch Sofia ins Bett und drehte sich ein paarmal herum. An ihrem tiefen Atem hörte Ricarda schon eine Minute später, dass sie eingeschlafen war.
In Chiang Mai
Über den grünen Hügeln hing Nebel, als Ricarda an diesem Morgen den ersten Blick aus dem Fenster warf. Sie atmete tief ein, sog die kühle, feuchte Luft in ihre Lungen und stellte fest, dass sie sich auf den Tag freute. Nuan! Sie würde zusammen mit Nuan in die Stadt fahren! Das war wie ein Geschenk und sie würde versuchen es nicht zu verschwenden.
Sofia regte sich hinter ihr, gähnte. »Na, geht’s dir besser?«, murmelte sie.
»Ja«, erwiderte Ricarda und es war nicht einmal gelogen. Die giftigen Gedanken waren aus ihrem Kopf verschwunden, als wäre ihre Seele in der Nacht einmal durch den Vollwaschgang geschickt worden.
Nach dem Frühstück füllten sie ihre Alu-Trinkflaschen und packten ihre Rucksäcke; Ricarda verstaute den Reiseführer griffbereit in einer Seitentasche, zog ihn dann noch einmal hervor und prägte sich ein paar Redewendungen ein. Thai war eine schwere Sprache, weil sich durch die Tonhöhe, mit der man ein Wort aussprach, auch die Bedeutung völlig änderte. Aber ein paar Floskeln bekam sie bestimmt hin. Zum Beispiel Kor thot – Entschuldigung! Für den Fall, dass sie sich mal wieder ungeschickt anstellte.
Khoop-khun krap/khaa – Danke! War immer nützlich. Sie musste nur daran denken, dass sie als Frau khaa zu sagen hatte, ein Mann dagegen sagte krap .
Die mahk mahk – Sehr gut! Das würde sie hoffentlich oft benutzen können. Der Gedanke brachte Ricarda zum Lächeln.
Nii thaorai – Was kostet das? Der Ausflug war bestimmt eine gute Gelegenheit, um sich ein paar Souvenirs zuzulegen, vielleicht könnte sie Severin irgendein offizielles Geschenk mitbringen und heimlich noch irgendeinen elektronischen Schnicknack. War ja alles total billig hier. Für ihren Vater am besten irgendwas, was mit Bildung zu tun hatte, eine Geschichte der thailändischen Könige vielleicht. War es eigentlich völlig daneben, wenn sie Nuan auch etwas kaufte? Zu blöd, dass sie Sofia so was nicht mehr fragen konnte; eigentlich war sie Expertin für alle Dinge, die mit Liebe zu tun hatten. Aber sie schien Nuan nicht besonders zu mögen, es hatte keinen Sinn, sie um Tipps zu bitten, die ihn
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