Der Elefanten-Tempel
Pali, einer uralten rituellen Sprache. Das macht die Sache ganz schön schwierig, weil man die meiste Zeit über selbst nicht versteht, was man sagt.«
Ein paarmal geriet Tao ins Stocken und die ganze Verwandtschaft hielt den Atem an. Aber die Mönche wirkten nicht streng, sondern freundlich und geduldig; jedes Mal flüsterte einer von ihnen Tao die passenden Stichworte zu, sodass er wieder in Gang kam. Als Nächstes legte ihm der ranghöchste Mönch ein orangefarbenes Tuch über die Schulter und Tao entfernte sich, um sich umzuziehen. Als korrekt gekleideter, verlegen lächelnder junger Mönch kam er wieder zum Vorschein. Wieder begann ein Wechselgesang, in dem die Mönche zu ihm sprachen und Tao einen Teil davon wiederholte.
»Jetzt bekommt er die Gebote gesagt, die er einhalten muss als Mönch«, erklärte Chanida leise. »Man muss sich sehr tugendhaft verhalten, es gibt eine Menge Regeln.«
Es war ein langwieriges Ritual, und da Ricarda kein Wort verstand, wurde es ihr allmählich langweilig. Auch Sofia wurde zappelig. Sie beide waren froh, als die Zermonie überstanden war und die Verwandtschaft zurückkehrte ins Refuge, um das Ereignis angemessen mit einem Festmahl zu feiern. Da keiner der vielen Onkel und Tanten Englisch sprach und Chanida kaum Zeit hatte, mit den Gästen aus Europa zu plaudern, zogen sich Sofia und Ricarda bald zurück. Nachdem sie sich gut mit Autan eingeschmiert hatten, breiteten sie unter einem großen Baum eine Decke aus – zum Glück war der Boden trocken genug – und machten es sich darauf bequem. Ricarda blickte mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in den Himmel, wo ein bleicher Mond am blauen Taghimmel schwebte. Geisterhaft sah das aus und wunderschön, wie hingehaucht. Sie musste an Nuan denken, wie schon so oft in den letzten Tagen und Stunden. Ob er noch wütend war wegen der Sache mit seiner Tasche?
Sie unterhielten sich eine Weile über Mönche, das Nirwana und was im Refuge gerade so geschah. Ricarda genoss es, mit Sofia zu reden, mit niemandem konnte man so gut herumblödeln und philosophieren wie mit ihr. Doch dann wechselte Sofia plötzlich das Thema. »Wie läuft es eigentlich mit dir und Fabian?«
Einen Moment lang war Ricarda verwirrt. »Fabian? Äh, ja, wieso?«
Sofia wälzte sich auf den Bauch, stützte sich auf die Ellenbogen und lächelte verschmitzt. »Er ist heimlichin dich verliebt, schon lange, glaube ich. Lilly hat es ihm mal auf den Kopf zugesagt und er hat alles gestanden. Fand ich ganz schön mutig von ihm, die meisten hätten einfach gesagt Erzähl keinen Scheiß oder so was.«
»Ja, ganz schön mutig. Aber mir hat er es noch nicht gesagt.« Langsam, widerwillig kehrten Ricardas Gedanken nach Deutschland, zu ihren Freunden dort, zurück. Fabian war schon seit Jahren Teil ihrer Clique, und manchmal trafen sie sich auch allein. Ja, sie hatte schon manchmal den Verdacht gehabt, dass er in sie verliebt war. Aber was hieß das denn für sie? War das eine Verpflichtung, mit der sie irgendwie umgehen sollte oder musste?
»Du magst ihn auch, oder?«, fragte Sofia.
Ricarda nickte. Klar mochte sie Fabian, sie waren ja schon seit Ewigkeiten befreundet, aber ihr Gefühl für ihn war so ganz anders als das für Nuan. Nuan war in ihrem Kopf und in ihrem Herzen, und an ihn zu denken war jedes Mal ein Fest. Es fühlte sich an, wie den Duft einer Blume einzuatmen oder zum ersten Mal nach einem langen Winter die Frühlingssonne auf dem Gesicht zu spüren.
»Habt ihr euch schon mal geküsst?« Sofia ließ nicht locker.
Ricarda war irritiert. Was hatte Sofia davon, wenn sie versuchte ihr Fabian schmackhaft zu machen? Wahrscheinlich wollte sie nur, dass sie beide glücklich waren. Fabian, der endlich seine wahre Liebe bekam,und Ricarda, die endlich einen Freund hatte, der fast genauso schüchtern war wie sie. Ja, wäre schön gewesen. Würde aber nicht passieren.
»Ich glaube, mit mir und Fabian, das würde nicht so gut funktionieren«, sagte Ricarda vorsichtig. Sie dachte daran, wie es mit Nicolas gewesen war, damals vor einem Jahr. Nicolas aus der Parallelklasse, lange ein Gesicht ohne Namen für sie, bis sie ihm zufällig in einem Café begegnet war. Schon bei ihrer ersten Verabredung im Internet hatten sie drei Stunden am Stück gechattet. Später war ihr Ritual gewesen, sich beim Kuscheln auf der Couch gegenseitig etwas vorzulesen, und Ricarda war oft zu Veranstaltungen seiner Fantasy-Rollenspielgruppe mitgekommen. Er hatte einen guten Magier abgegeben, so
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