Der Elefanten-Tempel
hatte sie es unterbewusst nur Ruang recht machen wollen? Wieso hatte sie ihm nicht ganz klar gesagt, dass sie jetzt etwas anderes tun musste?
Mist, wenn sie doch wenigstens ihr Handy hierhätte und dazu noch Netzempfang. Wenn sie wenigstens mit Sofia reden, sich entschuldigen, alles erklären könnte! Was Sofia wohl jetzt tat? Was ihr durch den Kopf ging? Wusste sie überhaupt, dass Ricarda mitgefahren war zu einem kranken Elefanten? Wahrscheinlich nicht, wer sollte es ihr gesagt haben?
Und der Landrover ließ auf sich warten. Ungeduld begann in Ricarda zu nagen und ihre stille Wache bei Phra Chan aus dem Gleichgewicht zu bringen. Hoffentlich kam Ruang bald mit dem Geländewagen zurück, hoffentlich waren sie bald wieder im Refuge! Im Stillen entschuldigte sich Ricarda bei Phra Chan für diese Gedanken. Aber sie musste zu Sofia und zwar so bald wie möglich.
Ricarda aß selbst eine Banane, um ihren leeren, aufgewühlten Magen zu beruhigen. Phra Chan beobachtete sie, doch ihr Vorbild wirkte leider nicht inspirierend auf ihn. Ricardas Gedanken machten sich wieder auf den Weg, zu Nuan diesmal. Sie erzählte ihm stumm von seinem Fast-Namensvetter, der hier litt, diskutierte mit ihm über Sofia, gestand, wie sehr sie sich darauf freute, ihn wiederzusehen. Diesmal werdet ihr euch nicht unsichtbar machen wie vor dem Ausflug nach Chiang Mai, oder?
Wir werden da sein. Dich erwarten.
Zum ersten Mal. Wie schön das ist.
Ein paarmal hörte sie Motorgeräusch auf der nahen Dorfstraße, und Ricarda spitzte die Ohren, hoffte – doch jedes Mal verklang es schon bald in der Ferne.
Sie pflückte noch eine Banane von der Staude, dann ein paar Blätter, saftiges Gras, versuchte weiter Phra Chan zum Fressen zu überreden. Und bemerkte schließlich, dass jemand sie beobachtete. Der dürre alte Mann, dem der Elefant gehörte. Bewegungslos, auf seine einfach geschnitzte Hacke gestützt stand er im Schatten seiner Hütte. Doch nicht auf sie war sein Blick gerichtet, sondern auf die Bananen. Auf einen Schlag wurde Ricarda klar, dass der Mann womöglich Hunger hatte. Dass er die Bananen vielleicht gerne selbst gegessen hätte. Dass er wahrscheinlich keine Wahl gehabt hatte, als er sich entschied, Phra Chans Stoßzähne zu kappen und zu verkaufen. Dass er sicher sofort einen Tierarzt gerufen hätte, wenn er es sich irgendwie hätte leisten können. Dass er sicher nicht der Einzige in diesem Dorf und dieser Gegend war, für den Armut ein vertrauter, ungebetener Gast war.
Und es gab nichts, absolut nichts, was Ricarda gegen all das tun konnte.
Einen Moment lang wünschte sie sich sehnlicher denn je, in den Landrover zu klettern und von hier zu verschwinden, zurück in die vertraute Welt der Zuflucht. Dann riss sie sich zusammen . Benimm dich mal erwachsen, in Gottes Namen. Sie stand auf, nahmdie Hälfte des Bananenbüschels und ging mit einem Lächeln auf den alten Mann zu, bedeutete ihm, die Früchte zu nehmen, wenn er wollte. Doch er blickte sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, schüttelte den Kopf und verschwand wieder.
Na ja. So viel zu diesem blödsinnigen Versuch, etwas Gutes zu tun. Keiner wollte hier ihre milden Gaben, weder die Vier- noch die Zweibeiner.
Es dauerte eine ganze Stunde, bis Ruang und Dejan mit dem Landrover wieder auftauchten. Die Ladefläche war randvoll mit grünen Zweigen. Sah aus wie Bambus. Erleichtert sprang Ricarda auf und winkte. Ruang parkte schwungvoll ein und Ricarda half dabei, das Futter abzuladen. Dann war es Zeit, sich zu verabschieden. Lautlos versprach Ricarda dem jungen Elefanten, dass sie wiederkommen würden. Obwohl die anderen schon zum Wagen gingen, zögerte Ricarda noch, ihren Schützling allein zu lassen. Instinktiv versuchte sie ein letztes Mal, ihm die Banane zu geben. »Komm, nimm schon. Das tut dir gut, glaub mir. Bitte.«
Schwach betastete der Rüssel die gelbbraune Frucht, ergriff sie dann und führte sie zum Maul. Weg war sie.
»Gut gemacht«, sagte Ricarda und klopfte ihm erleichtert den Rüssel. Vielleicht gab es ja doch Hoffnung, dass Phra Chan überlebte und tatsächlich noch Appetit auf den Bambus entwickelte.
Es war herrlich, wieder im Landrover zu sitzen. In ein paar Stunden würde sie zurück im Refuge seinund konnte Sofia alles erklären. Es würde scheußlich werden, aber hoffentlich würde Sofia sie verstehen, und dann konnte Ricarda sich in Ruhe auf das Treffen mit Nuan freuen …
Ein gutes Omen war, dass sie bei der Rückfahrt auf dem Vordersitz neben Ruang
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