Der Elefanten-Tempel
Stimme nicht so kräftig, dass sie das drängende Röhren des Motors und den Sog des Fahrtwinds überwinden konnte. Stattdessen fragte Dejan irgendwas, und nach einer Weile begriff sie, dass er sich erkundigt hatte, ob sie schon einmal Kickboxen gesehen habe. »Äh, nein«, stammelte Ricarda.
»Musst machen! Ist großer Thai-Sport!«, ermutigte sie Dejan, und es stellte sich heraus, dass er in jungen Jahren selbst Kickboxer gewesen und sogar in großen Arenen aufgetreten war. »Aber dann wurde zu alt und Medizin studieren neues großes Ziel von mir.«
Sie fuhren lange, an Chiang Mai vorbei, dann weiter nach Norden, in ein smaragdgrünes Tal, durch das sich ein Fluss wälzte. Schroffe Gipfel rechts und links, Ricarda war nicht klar gewesen, dass Thailand so hohe Berge hatte.
Sie arbeiteten sich über steile Feldwege voran, die vom Wasser ausgewaschen und so buckelig waren, dass der Landrover sich beim Darüberholpern beunruhigend zur Seite neigte. Dichter Laubwald links und rechts, waren das Teakbäume? Ein paar Motorräder kamen ihnen entgegen, auf eines war neben jeder Menge Gepäck ein Holzkäfig gebunden, der fast so groß war wie das ganze Gefährt. Hektisch flatternd rutschten ein paar Hühner darin herum.
Schließlich waren sie im Dorf angekommen, einer Ansammlung von wenigen einfachen Holzhäusern, die mit dem gleichen grauen, strohartigen Zeug gedeckt waren wie die im Refuge. Ein paar Hühner mit ihren Küken liefen aus dem Weg, als der Landrover sich näherte. In bunte Röcke gekleidete Frauen warfen ihnen neugierige Blicke zu und setzten dann wieder ihre Arbeit fort.
Drei oder vier große, umgestülpte Rattankörbe standen um die Häuser herum – erst als Ricarda durch die Lücken im Geflecht den Schatten von Hähnen erkannte, begriff sie, dass das Käfige waren. Aber nur für die kleinen Tiere … den größten vierbeinigen Bewohner des Dorfs fanden sie auf einem freien Platz hinter einer Hütte, am Waldrand.
Der Elefant war ein junger Bulle; apathisch, bewegungslos stand er da. Sein Vorderbein war mit einer Kette gesichert, die ihm schon die Haut wund gescheuert hatte. Seine Stoßzähne, die wohl einmal prächtig gewesen waren, endeten in kantigen Stümpfen, es sah aus, als hätte sie jemand in der Mitte abgesägt. Ein umgekippter Plastikeimer und ein kleiner Haufen mit Reisstroh lagen in seiner Nähe und hinter ihm ein paar stinkende Lachen flüssigen Kots.
Es war ein furchtbarer Anblick und Ricarda hatte nur einen Wunsch: dieses kranke Tier zu trösten, es nicht alleinzulassen in seiner Qual. Seltsam, sie hatte keinen Moment lang Angst vor ihm. Sie näherte sich ihm ohne Scheu, streichelte seinen Kopf, über dem die graue, faltige Haut eingesunken war, sodass man die Schädelknochen deutlich sah. Strich ihm über das Bein und die Kante der Ohren, sprach leise mit ihm. Und einen Moment lang verloren die großen bernsteinfarbenen Augen des Elefanten ihre Teilnahmslosigkeit. Tat es ihm gut, dass jemand bei ihm war, sich für sein Schicksal interessierte?
Dejan begrüßte den Elefanten kurz und mitleidig, dann begann er ihn zu untersuchen und Proben zu nehmen. Seine Miene war ernst, der schalkhafte Ausdruck war aus seinen Augen gewichen.
Anscheinend hatte Ruang es inzwischen geschafft, den Besitzer des Tieres aufzutreiben, einen alten Mann in einem blauen ärmellosen Hemd, kurzen Hosen und bunten Flip-Flops. Er hatte die zierlicheStatur der meisten Thais, wirkte aber durch seine mageren Beine noch hagerer. Neugierig und ein wenig eingeschüchtert hielt sich Ricarda an Ruangs und Dejans Seite und lauschte, obwohl sie kein Wort verstand. Zum Glück nahm sich Ruang die Zeit, für sie zu übersetzen.
»Der Elefant heißt Phra Chan, das bedeutet Gott des Mondes. Er ist seit zwei Wochen krank, und er hat diese ganze Woche nicht gefressen und auch nicht geschlafen.« Ruang blickte grimmig drein. »Ich wünschte, der Mann hätte früher einen Tierarzt gerufen. Ein Glück, dass wir da sind. Aber ich weiß nicht, ob es jetzt noch etwas nützt.«
Gott des Mondes. Das erinnerte sie an Nuan. Doch was Ruang erzählt hatte, erschreckte sie. Eine Woche ohne Schlaf! Ricarda dachte daran, wie schlecht es ihr schon nach zwei halb durchwachten Nächten ging. »Wie lange schlafen Elefanten denn normalerweise? Und wieso kann er es nicht, wenn er krank ist?« Bei ihrer letzten Grippe war es ihr genau umgekehrt gegangen, sie hatte den ganzen Tag gedöst oder geschlafen.
»Eigentlich brauchen Elefanten so etwa drei
Weitere Kostenlose Bücher