Der Elefanten-Tempel
geträumt habe. Was für eine dumme, heuchlerische Antwort. Sofia war nicht blöd, sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Sie mit so einer Antwort abzuspeisen war schlimmer, als gar nichts zu sagen. Der Riss zwischen ihnen war noch nicht verheilt, trotz ihrer Versöhnung. Und all diese Geheimnisse … sie zernagten ihre Freundschaft wie Rost eine Skulptur aus Eisen.
Es gab nur einen Weg, sie musste Sofia baldmöglichst erzählen, was in den letzten beiden Nächten geschehen war. Ihre Wut darüber ertragen, dass sie es nicht gleich berichtet hatte. Aber durfte sie es überhaupt wagen? Jetzt ging es nicht mehr um Laona, sondern um Nuan. Würde Sofia es schaffen, gegenüber Chanida dichtzuhalten?
Ich tu’s, dachte Ricarda entschlossen und kroch aus dem Bett. Auf einmal hatte sie es eilig. Hoffentlich erwischte sie Sofia überhaupt noch beim Frühstück. Vielleicht heute auf die Dusche verzichten? Nein, die brauchte sie dringend zum Wachwerden.
Lauwarm prasselte das Wasser auf ihre Haut und auf dem gekachelten Fußboden krabbelten ein paar Ameisen eilig aus dem Weg. Eine davon schaffte es nicht mehr rechtzeitig die Wand hoch und zappelte auf den Abfluss zu. Ricarda hatte sich gerade die Haare eingeschäumt, aber sie bemerkte das Drama aus dem Augenwinkel. Sie bückte sich – verdammt, dieses Shampoo brannte höllisch in den Augen! – und versuchte die Ameise auf ihren Finger kriechen zu lassen. Zu spät, sie war gerade in den Abfluss gestrudelt. Mist, wahrscheinlich bedeutete das Ertrinkenlassen von hilflosen Tieren jede Menge mieses Karma. Wahrscheinlich würde die Seele, die einmal Ricarda Wittenberg gehört hatte, in einer Kakerlake wiedergeboren werden. Und die landete dann geröstet auf dem Markt. Oder so.
Ricarda schloss die Augen, damit nicht noch mehr Shampoo reinlief, und tastete blind nach dem Schlauch der Dusche. Zack, das Ding fiel runter und der Duschkopf prallte voll auf ihren großen Zeh. »Kruzifixhöllennochmal!«, fauchte Ricarda und fragte sich, wo sie das denn herhatte.
Immerhin, jetzt war sie richtig wach.
Viel nützte das aber nicht. Denn auf halbem Wegzum Haupthaus fing Ruang sie ab. Er belud gerade die offene Ladefläche des Geländewagens, einer der Mahouts half ihm. »Ich fahre gleich mit Dejan in ein Dorf, dort ist ein Elefant krank geworden und der Besitzer kann sich keine Behandlung leisten. Wir helfen ihm kostenlos. Möchtest du mitkommen?« Dejan, der Tierarzt mit dem Indianergesicht, nickte ihr freundlich zu.
Es dauerte einen Moment, bis die Botschaft in Ricardas Kopf ankam und dort Platz fand zwischen der Sorge um Sofia, den Schuldgefühlen, den herrlichen Gedanken an Nuan.
»Ja … sehr gerne!«, stammelte Ricarda überrascht. Sie ahnte, dass es ein Friedensangebot war, dass Ruang ihr verziehen hatte, dass sie sich bei Nuans Geständnis neulich aus seiner Sicht danebenbenommen hatte. Was hatte sie getan, um sich wieder reinzuwaschen? Vielleicht hatte Kaeo ein gutes Wort für sie eingelegt; er wusste, wie viel ihr die Arbeit mit den Elefanten bedeutete, wie sehr sie sich engagierte. Egal. Jedenfalls war eine Fahrt mit Ruang eine erstklassige Gelegenheit, ihn zum Thema Laona auszufragen.
Aber ein paar Minuten konnte das bestimmt warten. »Ich frühstücke schnell noch, ist das in Ordnung?« Ricarda ging ein paar Schritte … doch Ruang ließ schon den Motor des Landrovers an und redete in Thai mit Dejan, der ebenfalls eingestiegen war.
Hastig drehte sich Ricarda um und kletterte ins Führerhaus des Geländewagens; dort saßen sie auf der einzigen Sitzbank zu dritt nebeneinander. Undschon waren sie unterwegs, brausten durch das offene Haupttor und bogen auf die Straße ein, die Ricarda nun schon zweimal im Mondlicht gesehen hatte und die bei Tag so schlicht aussah, ein ganz gewöhnliches Band aus Asphalt.
Mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengrube wurde Ricarda klar, was sie gerade getan hatte. Sie hätte sich dringend mit Sofia aussprechen müssen … und jetzt fuhr sie weg. Einfach weg! Was Sofia sich denken würde, konnte sie sich vorstellen. So, so. Wieder einmal weicht sie aus. Ist zu feige, sich zu stellen. Hat doch nichts gelernt. Nichts ist anders geworden!
Auf einmal war Ricarda elend zumute. Wie immer waren beide Fenster fast ganz heruntergekurbelt und der Fahrtwind fegte ihr dunkles Haar nach hinten, trieb ihr die Tränen in die Augen. Es gab nicht mal eine Chance, mit Ruang zu reden, weil sie nicht neben ihm saß, sondern neben Dejan. Außerdem war ihre
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