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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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hatte. Ricarda hielt kurz inne, umarmte Sofia fest und Sofia drückte sie genauso fest zurück.
    »Hey, alles wird gut, okay?«, murmelte Sofia, und Ricarda wusste, dass sie recht hatte, dass ihre Freundschaft diese Zeit in Thailand überleben würde und vielleicht sogar stärker sein würde als zuvor. Sofia ließ sie nicht im Stich – wenn es darauf ankam, hielten sie immer noch zusammen! Ihre Eifersucht kam Ricarda auf einmal albern vor.
    Chanida war überrascht, dass ihr Motorrad plötzlich so gefragt war. Aber sie war gerne bereit, es auszuleihen, und kam mit runter, um Sofia noch mal kurz zu erklären, was beim Fahren zu beachten war. »Oder noch besser, ich fahre dich gleich selbst, Ricarda«, meinte sie. »Wenn man das Linksfahren nicht gewöhnt ist, ist das bestimmt ganz schön schwierig.«
    Ricarda nickte dankbar und wartete ungeduldig darauf, dass Chanida aufstieg und den Motor anließ. Schon fast elf Uhr … verdammt! Besser, sie dachte nicht so genau darüber nach.
    Nebenbei bemerkte sie, dass ein Vogel lautlos vor ihnen durch die Dunkelheit glitt. Eine Sekunde lang durchquerte er den Lichtschein des Haupthauses und Ricarda erkannte braun geflecktes Gefieder. Ein Käuzchen.
    »He, schau mal, eine Eule!«, meinte Sofia.
    Chanida zuckte zusammen und blickte hoch. Auf einmal wirkte ihr Gesicht starr, verzerrt vor Furcht. »Eine Eule? Das ist ein schlechtes Omen. Eulen sind nok phii, Geistervögel!« Sie nahm die Hand vom Zündschlüssel, stieg hastig wieder ab. »Und noch dazu ist heute Mittwoch. Ich bleibe hier!«
    Auch das noch. Ricarda stöhnte. Wäre sie doch besser gelaufen! »Ist es denn okay, wenn Sofia fährt?«
    Widerstrebend nickte Chanida. »Aber seid vorsichtig …«
    Ricarda hielt sich an Sofia fest, spürte die Wärme ihres Körpers. Ein kühler Fahrtwind zerrte an ihrem Haar und das Röhren des Motors dröhnte in ihren Ohren. Das Licht des kleinen Scheinwerfers bohrte einen Lichtfinger in die Dunkelheit. Einmal driftete Sofia in einer Kurve auf die rechte Seite, doch Ricarda rief »Links bleiben!«, und Sofia sagte »Ups« und korrigierte sich.
    Gleich da. Gleich da! Endlich, endlich!
    »Hier ist es«, rief Ricarda schließlich, Sofia bremste schwungvoll und Ricarda kletterte hastig vom Beifahrersitz. »Mach dir keine Sorgen, ich kann zurücklaufen, so weit ist es nicht …«
    »Okay, dann viel Glück«, meinte Sofia und winkte noch einmal. Dann gab sie Gas. Schon bald verklang das Geknatter von Chanidas Motorrad in der Entfernung.

Die Trauer der Elefanten
    In Ricarda hatte nur noch ein Gedanke Platz: Wo war Nuan? War er noch hier?
    So lange hatte er schon vergeblich warten müssen. Eine Stunde lang hatte er gedacht, dass sie ein Mädchen war, das seine Versprechen nicht einhielt. Eine Stunde lang hatte er gedacht, dass sie vielleicht kein Interesse mehr daran hatte, ihn zu treffen. Vielleicht war er schon weitergezogen nach Norden; hatten er und Devi sich enttäuscht wieder auf ihre endlose Pilgerreise begeben?
    Nichts. Tiefe Dunkelheit. Schweigen. Im Tempel waren alle Lichter aus. Die Mönche schliefen schon. Wie ein dunkler Wall schirmte die Außenmauer sie vom Rest der Welt ab. Das Licht von Ricardas Taschenlampe huschte über den kurzen Rasen, über den Stamm des Baumes, unter dem sie zusammen gesessen hatten. Doch diesmal: kein Elefant, nirgends. Weder Laona noch Devi. Und auch von Nuan keine Spur. Ricarda umrundete die ganze Tempelmauer, mit gehetzten Schritten, mit hämmerndem Herzen.
    Sie waren nicht da.
    Nein, nein, das durfte nicht sein! Nicht nach diesem langen Weg, nicht nach all dem, was sie riskierte hatte, um hierherzukommen. Zu spät. Zu spät! Wieso nur war sie in Ruangs Landrover gestiegen, was hatte sie sich dabei gedacht, eine Sekunde bloß und alleskaputt, das durfte doch nicht sein! Wieso hatte sie nicht einfach »Nein danke« gesagt und war frühstücken gegangen? Doch tief in sich wusste sie, dass das auch nicht richtig gewesen wäre. Dass es auf eigenartige Weise ihre Aufgabe – und ganz allein ihre – gewesen war, dort in diesem Hügeldorf den todkranken jungen Elefanten zu trösten …
    Ein furchtbarer Gedanke stieg in ihr auf. War Nuan irgendetwas passiert, hatte die Polizei ihn erwischt, war etwas schiefgegangen mit Devi? Ricarda musste an den Schatten der Eule denken, an das schlechte Omen, das Chanida so gefürchtet hatte. Wenn Nuan verhaftet worden war, würde sie es womöglich nie erfahren – dies war ein fremdes Land, schrecklich fremd und feindselig auf

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