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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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einmal. Abweisend und hochmütig blickten die steinernen Nagas , die den Tempel bewachten, zu ihr herüber. Der Rest der Umgebung verbarg sich in der Dunkelheit. Auf einmal kam es Ricarda entsetzlich finster vor; der Mond war noch ein bisschen schmaler geworden, spendete immer weniger Licht. Auch der gelbe Schein der Taschenlampe wirkte blass und kraftlos, schaffte es kaum noch, einen hellen Fleck auf den Boden zu malen. Die Batterien waren bald am Ende.
    Erschöpft setzte sich Ricarda auf die Steintreppe, genau zwischen die beiden Schlangendämonen, legte den Kopf auf die Knie und ließ die Tränen einfach fließen. Würde sie damit die Geister dieses Ortes stören? Und wenn schon. Was war, wenn sie Nuan niewiedersah? Wie lange würde es dauern, bis sie vergessen konnte, dass sie ihn durch ihre Schuld verpasst hatte? Ihre Hand umfasste das Buddha-Amulett an ihrem Hals. Noch vor Kurzem hatte die Zukunft sich angefühlt wie ein Sonnenaufgang, warm und strahlend. Und jetzt? War es das schon gewesen?
    Ein Motorbrummen, das immer lauter wurde … Das Licht von Scheinwerfern strich über die Straße, die am Tempel vorbeiführte. Ein kurzes Aufblitzen von lackiertem Metall, dann war das Auto auch schon wieder verschwunden. Kurz darauf fuhr noch eins vorbei. Um diese Uhrzeit war mehr los als zu Laonas üblicher Zeit nach Mitternacht. Ricarda bewegte sich nicht, versuchte mit den Schatten zu verschmelzen, und keins der Autos hielt an. Niemand bemerkte sie.
    Es waren nicht diese lauten Geräusche, die sie aufschreckten, sondern ein winziges. Was war das eben gewesen? Ein Fuß, der Grashalme bog, ein Vogel in den Ästen, ein Mönch, der im nachtstillen Tempel nach dem Rechten sah? Ricarda richtete sich auf und lauschte mit allen Sinnen, versuchte die Dunkelheit um sich herum zu enträtseln.
    Dann merkte sie, dass jemand an der Steintreppe lehnte. Ein Mensch. Ricarda schrak zusammen, stieß unwillkürlich den Atem aus.
    »Ich bin hier.« Nuans Stimme, leise und vertraut.
    Wilde Freude durchzuckte Ricarda. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. Doch er stand so ruhig da, wirkte so selbstsicher und gelassen. Nein,ihn zu umarmen ging noch nicht. Ricarda fuhr sich über das Gesicht, wischte die Tränen ab. »Ich habe dich nicht kommen hören. Wieso bist du überhaupt noch da?«
    Sie lachte, schrill und hysterisch klang es, einfach grässlich. Und zu allem Überfluss quollen wieder Tränen aus ihren Augen. Unmöglich, sie zu stoppen, O Mann, er musste ja denken, dass Farang -Mädchen bei jeder Gelegenheit halb zerflossen. Aber es war einfach zu viel gewesen in den letzten Tagen: der Streit mit Sofia … der junge Elefant, der nur noch auf den Tod wartete … der verzweifelte Versuch, rechtzeitig am Treffpunkt zu sein … wie komisch, dass jetzt alles aus ihr herausbrach, ausgerechnet jetzt, da sie es geschafft hatte.
    Er setzte sich neben sie auf die Treppe, und plötzlich fühlte sie seine Hand auf ihrem Arm, seine Berührung war so leicht wie ein fallendes Blatt. »Ich bin da. Weil ich hier sein wollte.«
    »Aber … ich …«
    »Ich bin gegangen und noch einmal umgekehrt. Devi hatte deine Witterung aufgenommen.«
    Ricarda beschloss, Devi bei nächster Gelegenheit eine große Kiste Obst auszugeben. »Wo ist sie jetzt?«
    »Steht wieder unter dem großen Baum. Das ist ihr Lieblingsplatz.«
    Noch immer lag Nuans Hand auf ihrem Arm, schützend, tröstend, und Ricarda merkte, wie sie sich langsam wieder beruhigte. Sie war hier. Nuan warhier. Alles war in Ordnung. Die Eule war kein Geist gewesen, sondern nur ein ganz normaler Raubvogel, der nach Mäusen Ausschau hielt.
    »Dein Abend war lang? Du hattest viel zu tun?«, fragte Nuan, und Ricarda hätte fast gelacht, so höflich klang das, was ihre Freunde in Deutschland eher mit »Wo zum Teufel warst du?« ausgedrückt hätten. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und erzählte ihm in Kurzform, was geschehen war.
    »Eine weite Reise«, sagte Nuan, er klang beeindruckt. Ricarda meinte ein Nur wegen mir? darin mitklingen zu hören. Ganz sicher war sie nicht, in der Dunkelheit fiel es ihr schwer, die Sprache seines Körpers und seiner Augen zu lesen. Nein, wahrscheinlich machte sie sich etwas vor und Sofia täuschte sich. Er war geblieben, weil ihn Laonas seltsames Verhalten interessierte. Zeit, ihm zu geben, worauf er wartete.
    »Ich habe etwas über Laona herausgefunden.«
    Tatsächlich, er klang neugierig. »Eure geheimnisvolle Elefantin.«
    »Ja. Sie ist als Jungtier hier

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