Der Elefanten-Tempel
interessieren.
Um kurz nach zehn Uhr näherten sie sich Lampang. Ein warmes Wohlgefühl durchströmte Ricarda. Kaum zu glauben. Fast pünktlich. Nuan würde staunen, wenn sie ihm von ihrer Odyssee erzählte.
Doch dann sah Ricarda alarmiert, welche Straße der Mann nahm. He, Moment, war das nicht die falsche? Ja, war es. Ein paar Minuten später bog der BMW in die Auffahrt des Elephant Refuge ein. »No! Not here!«, protestierte Ricarda. »To Wat Phra That Lampang Luang, please!«
»Wat is closed now«, sagte der Mann kurz angebunden und deutete auf die Autotür. Ganz klar, was das hieß: ab hier keine weiteren Taxi-Dienste mehr! Ricarda hatte keine Wahl, sie musste aussteigen.
Verzweifelt blickte sie den Rücklichtern des BMW nach, die in der Ferne verschwanden. Was jetzt? Zu Fuß? Sollte sie Daeng suchen und sie um einen Ritt bitten? Oder – Moment mal! Chanidas kleines Motorrad! Vielleicht würde Chanida oder Sofia sie zum Tempel fahren, das ging ja schnell. Am besten zuerstin die Hütte, sie musste Sofia finden; die machte sich bestimmt schon Sorgen.
Sofia war noch wach und lag mit einem Taschenbuch von Stephenie Meyer auf dem Bett. Sie hatte ihre dunklen Locken mit einem Haargummi zurückgebunden und trug noch keine Schlafsachen, sondern ihr neues lilafarbenes Top und Shorts. Ohne ein Lächeln blickte sie Ricarda an, als sie hereinstürmte. »Na, gibt’s dich auch noch? Wo warst du eigentlich?«
»Das ist eine lange Geschichte – ich habe einen kranken Elefanten betreut und bin dann per Anhalter zurückgefahren«, keuchte Ricarda.
»Per Anhalter? Das ist dumm und gefährlich.« Kein Zweifel, Sofia war richtig mies drauf. Soweit sich Ricarda erinnern konnte, war sie nämlich selbst schon mal getrampt. Wenn auch nur von Darmstadt nach Michelstadt. »Und, was ist? Hast du wenigstens jetzt ein bisschen Zeit? Wir müssen mal reden.«
»Ich weiß! Aber vielleicht nicht gerade jetzt … ich muss dringend zu diesem Tempel, äh, und könntest du mich mit dem Motorrad hinfahren?« Ricarda wusste, dass das bescheuert klang.
Sofia schaute Ricarda an, als hätte sie gerade gestanden, in Wirklichkeit eine russische Spionin zu sein. »Du hast sie ja nicht mehr alle! Kannst du mir bitte mal erklären, was das alles soll?«
Nein, Ricarda wollte jetzt nichts erklären, die Minuten zerrannen ihr zwischen den Fingern, Minuten, in denen Nuan vergeblich auf sie wartete. Sie hatte esdoch fast geschafft, warum ging so kurz vor dem Ziel alles schief? Die Verzweiflung in ihr schwappte über, verzerrte ihre Stimme. »Dann gehe ich eben zu Fuß. Ich muss gehen, verstehst du, ich muss!«
Jetzt endlich begriff Sofia, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie glitt vom Bett, umfasste Ricardas Schultern, schaute ihr forschend ins Gesicht. »Okay, okay. Ich hab zwar nur den Mopedführerschein, aber ich bin neulich mit Chanidas Motorrad ganz gut klargekommen. Gehen wir das Ding holen. Und auf dem Weg erklärst du mir, was los ist, ja?«
»Ja«, sagte Ricarda, holte mit zitternden Fingern ein paar Geldscheine aus ihrem Versteck, steckte sie ein, drehte auf halbem Weg zur Tür noch einmal um, griff sich die Taschenlampe, rannte dann nach draußen. Im Laufschritt marschierten sie zum Haupthaus, und in diesen paar Minuten stieß Ricarda außer Atem hervor, was sie Sofia so lange verschwiegen hatte. Dass Laona nachts zum Tempel wanderte, dass sie ihr gefolgt war, dass sie dort Nuan getroffen hatte. Dass sie sich für heute Nacht dort verabredet hatten.
»Wow«, sagte Sofia und schwieg dann eine Minute lang. Vielleicht brauchte sie die Zeit, um zu verarbeiten, was sie gerade gehört hatte. »Ich fasse es nicht – du hast Nuan noch einmal getroffen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass er nur zufällig in der Gegend geblieben ist. Schon beim Abschied neulich hat man ja ziemlich deutlich gesehen, dass er dich mag.«
»Meinst du?« Ricardas Herz machte einen Satz.
»Ja, immerhin ist es für ihn ein Risiko, so lange in der Gegend zu bleiben. Das könnte jemanden auf ihn und Devi aufmerksam machen. Mann, und das hast du alles für dich behalten? Wieso? Dachtest du etwa, ich petze ?«
»Vielleicht hättest du es Chanida erzählt …«
»Ach Quatsch.« Sofia schnaubte. »Wir brauchen Chanida auch jetzt nicht viel zu sagen, es geht sie ja nichts an, warum du unbedingt zu diesem Tempel musst.«
Es tat gut, dass Sofia sich so deutlich auf ihre Seite stellte. Obwohl Ricarda sie in letzter Zeit so schlecht behandelt
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