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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Amerikaner stapften mit klirrenden Schnallenschuhen und gepuderten Perücken, tonangebend und selbstbewusst über das Schiff und ließen sich alle vorführen, die ihre Fracht auf der »Good Intent« nicht bezahlen konnten. Oder keine Verwandten in der Kolonie hatten, die für sie einsprangen. Rücken, Schultern, Handflächen wurden wie sonst Euter, Fesseln und Hinterbeine begutachtet. Wer nicht hustete, triefte, keine Pocken im Gesicht oder ein Kind im Bauch hatte, war im Vorteil. Für den fand sich rasch ein wohlhabender Farmer aus Lancaster, Goschenhoppen oder Bethlehem oder ein Kaufmann direkt aus Philadelphia, der bereit war, die ausstehende Frachtgebühr zu entrichten. Diese Summe wiederum mussten der Mann oder die Frau vier, fünf, manchmal auch nur drei Jahre als Knecht oder Magd abarbeiten. Die ganz Jungen, von denen manche erst zehn oder elf waren, waren dagegen verpflichtet, bis zu ihrem 21. Lebensjahr Dienst zu tun. Als sieben– oder achtköpfige Familien waren viele in Rotterdam abgereist, während der Fahrt um den einen oder anderen weniger geworden, jetzt wurden sie vollends auseinandergerissen wie Salatköpfe bei der Zubereitung.
    In den allerletzten Minuten auf der »Good Intent« wurde aus dem Fräulein noch eine Witwe. Beinahe hätte Charlotte es vergessen oder vergessen wollen. Ebenso wie die Neue Welt und die Zukunft gern wieder hinter dem Horizont hätte verschwinden können. Trotzdem kam es dann doch dazu, dass dem Kapitän Schweiß über das Doppelkinn lief und als dicke Perlen auf die Planken tropfte.
    »Ich mache mich strafbar!«
    »Sie machen sich verdient, denn Sie helfen einer in Not geratenen Dame.«
    »Verstehen Sie denn nicht, es handelt sich um amtliche Listen, offizielle Bescheinigungen. Ich würde meinen Ruf aufs Spiel setzen, von meiner Pension, die ich verlieren könnte, ganz zu schweigen.«
    »Und ich, Kapitän Boswell, setze für meinen guten Ruf ein Erbstück aufs Spiel, das, wenn man es zum Beispiel bei den Juden in Rotterdam zu Geld macht, jede Pension ganz erheblich versüßt.«
    Ein Zittern lief durch die Kaskaden des Doppelkinns. Ganz nebenbei und ohne Eile griff sich Charlotte an das Tuch um ihre Brust, löste die kleine Brosche, die es zusammen hielt, und drehte diese spielerisch zwischen den Fingern. Gerade genug, damit die hellblauen Steine im Licht der Sonne aufblitzten. Auf die Planken regnete es jetzt regelrecht Schweißtropfen. Umständlich rieb Kapitän Boswell die Fleischberge seines Gesichtes mit einem Taschentuch trocken.
    Dennoch war das Papier an manchen Stellen noch schweißig feucht, als Charlotte später die Sterbeurkunde ihres Mannes zusammengerollt zwischen ihrer Wäsche verstaute. Auch die Schiffsliste der »Good Intent«, die unmittelbar vor der Abfahrt in Rotterdam angelegt worden war, führte jetzt einen Georg von Geispitzheim. Sein Name hatte sich gut in den zufällig etwas größeren Abstand zwischen einem Johann Schneider und einem Nepomuk Neidling zwängen lassen, in akkuraten Buchstaben und derselben Tinte. Die sterblichen Überreste auch dieser beiden Männer hatten praktischerweise unterwegs im Atlantik ein Grab gefunden. So dass sie nicht mehr befragt werden konnten, ob unmittelbar vor beziehungsweise hinter ihnen ein Georg von Geispitzheim an Bord gegangen war.
    Der Boden Amerikas, als Charlotte ihn dann schließlich und endlich betrat, fühlte sich an, als wäre er dick mit Eiderdaunen ausgelegt. Unsicher machte sie die ersten Schritte, konnte nur mühsam geradeausgehen, die Erde war weich, gab nach, sodass sie taumelte. Der nächtliche Ozean war stabiler gewesen. Sarahs Blicke flatterten zwischen ihrem Vater und Charlotte hin und her. Dabei war es vor allem sie, die sich stumm, aber energisch darum kümmerte, dass kein Gepäckstück vergessen wurde. Sie spürte etwas, dass sie nicht benennen konnte, spürte es aber deshalb umso stärker, wie einen Luftzug, der einen fein gewürzten Geschmack mit sich trug. Die beiden waren so seltsam geistesabwesend und nahezu leblos, dass Sarah sie fast wie den kleinen Jakob bei der Hand nehmen und in die richtige Richtung zu dem Platz bugsieren musste, wo Kutschen auf Neuankömmlinge warteten. Die beiden litten, das war dem Mädchen klar. Doch an was und warum? An der Veränderung der Luft? Dabei war die hier wunderbar süß und mild. Sarah atmetet tief ein. Und stöhnte im nächsten Moment, denn sie entdeckte einen Stand an der Hafenmauer, wo Hummer angeboten wurden. Mit Scheren so unglaublich groß wie

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