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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Was sie zu kleinen lustvollen Lachsalven reizte. Worauf auch Samuel heiser lachen musste und dann dazu überging, die Wirkung auch hinter ihrem rechten Ohr auszuprobieren.
    Damit ihr Versteck nicht aufflog, verteilte Charlotte am nächsten Morgen ebenso verschwenderisch Münzen an die Schiffswachen wie ihre Mutter zu Hause an die Lakaien im Schloss. Brot und Wasser extra gab es zwar nicht mehr zu kaufen, aber immerhin Abstand vom Rest der Welt. Und wenn es nur der Rest vom Deck eines kleinen Schiffes war.
    Am 23. August 1752 tauchte die Küste New Jerseys auf. Charlotte hoffte, dass es eine Täuschung wäre. Aber ein Blick durch das Fernglas, das ihr Mr. Abercrombie reichte, genügte. Auch ihre kurzsichtigen Augen mussten erkennen, dass Amerika nicht mehr weit war. Ihr Bedauern verbarg sie tunlichst und gab dem ersten Offizier dankend das Fernglas zurück. Sein Gesicht verriegelte Mr. Abercrombie inzwischen wieder doppelt und dreifach, besonders in der Nähe des deutschen Fräuleins. Ihm waren Gerüchte über ihre nächtlichen Versteckspiele an Deck zu Ohren gekommen, deshalb war er heilfroh, ihr bislang nichts von seinen in Aussicht stehenden 110 Acres in Norfolk erzählt, geschweige denn, ihr einen Antrag gemacht zu haben. Mit knapper Verbeugung verschwand er auf die Brücke.
    Bald zeichnete sich die breite Bucht des Delawares ab. Mit bloßem Auge sahen die Passagiere jetzt Wälder, hier und da eine Rauchsäule, Wälder und nochmals Wälder. Dahinter ragten schemenhaft hohe Berge. Das Blaue Gebirge, wusste einer der Matrosen, der die Route schon fünfmal gefahren war. Auf einmal, als ob sie ein Kommando bekommen hätten, flogen Vögel heran, kreisten und hockten sich sogar in die Takelage. Nach alle den Wochen Gezwitscher oder auch nur Gekreische zu hören, tat allen gut. Auch immer mehr Schiffe tauchten auf. An deren Decks fuchtelten viele Arme mit kleinen Köpfen dazwischen. Die Auswanderer auf der »Good Intent«, die bald Einwanderer sein würden, winkten zurück, johlten, weinten, hoben ihre Kinder hoch, zeigten ihnen das Land, nahmen sich gegenseitig in die Arme, wuschen sich endlich. Mit Salzwasser, aber immerhin. Die Läuse und Flöhe wurden sie trotzdem nicht so schnell los. Zwischen dem Cape May und der kleinen Stadt Lewes in Delaware bog die »Good Intent« mit günstigem Wind in den Fluss ein. Jetzt brauchte man nur noch zwei Tage, hieß es, um Philadelphia zu erreichen. Und eine einzige, letzte Nacht.
    Die Behörden verwehrten ihnen, den Boden der »Stadt der Brüderlichkeit« sofort zu betreten. Zunächst kam ein Arzt an Bord und untersuchte alle Seeleute und Passagiere auf ansteckende Krankheiten. Man war in Philadelphia sehr modern. Dann wurden die männlichen Einwanderer abgeholt und auf Pferdewagen zum Stadthaus gebracht. Der englische König stellte Ansprüche. Die meisten hatten kein Problem damit, sie schwuren der Majestät einen Eid, machten auf Schriftstücken ihr Kreuz oder unterzeichneten mit ihrem Namen. Untertanen waren sie schließlich auch in der Pfalz oder im Elsass gewesen. Samuel hatte vor diesem Moment Angst gehabt.
    Es sei aber eure Rede: ja, ja; nein, nein, was aber mehr ist als dieses, ist aus dem Bösen.
    Beklommen schaute er auf eine lange braune Tischplatte, auf Federkiele, Tintenfässer, eine aufgeschlagene Kladde. Das kam ihm nur zu bekannt vor. Dahinter, an einer weiß getünchten Wand hing das Porträt Georg II. Würde Pennsylvania halten, was William Penn versprochen hatte?
    Er wurde von dem Mann auf der anderen Seite des Tisches gemustert. Der Federkiel war schon gezückt. Zuerst kam eine Frage auf Englisch. Samuel schüttelte den Kopf. Der Vertreter der neuen Welt verkürzte seine Frage:
    »Anabaptist? Mennonit?«
    »Ja, ja. Amisch Mennonit.«
    Der Mann nickte. Freundlich.
    Ebenso wie die englischen Quäker brauchten Samuel und alle Täufer, die mit ihm gekommen waren, keinen Eid zu schwören, sondern nur ein Gelöbnis zu leisten. Das war ein Unterschied, für die Frommen sogar ein großer. Die Kolonie hatte dem König in London diese Freiheit des Gewissens abgerungen und ein eigenes Gesetz daraus gemacht.
    Kaum war Samuel wieder zurück auf dem Schiff, schob sich sein Blick wie ein vielbärtiger Schlüssel in das passende Schloss, das ihm Charlottes Augen boten. Zum Glück kamen jetzt die Menschenhändler an Bord. Gleichwohl noch betäubt und ratlos aus der vergangenen Nacht in die grelle Gegenwart verschleppt, wurden Charlotte und Samuel abgelenkt.
    Einheimische,

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