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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Männerhände. Lieber Himmel, was für einen Hunger auf solche frischen Köstlichkeiten sie doch hatte! Ihr Vater und Charlotte schienen die Hummer nicht zu sehen und ebenso wenig die rabenschwarzen und braunen Menschen, die herumliefen und wie in Rotterdam Waren ab- und aufluden. Samuel Hochstettler und Charlotte von Geispitzheim waren wie betäubt. Sarah winkte, obwohl sie kein Englisch sprach, einem Kutscher zu, drückte ihm einen Zettel in die Hand, auf dem eine Adresse stand, schaute ihm gebieterisch in die Augen, schob Jakob und die beiden Erwachsenen in den Wagen und überwachte, dass all ihre Kisten, Taschen und Bündel sicher verstaut wurden. Erst dann band Sarah nochmals die Schleife ihrer Haube unter dem Kinn fester, raffte ihre Röcke und stieg ebenfalls ein. Als sie die teilnahmslos wächsernen Gesichter neben sich sah, ahnte sie etwas. Die rechte Hand ihres Vaters lag auf Charlottes Arm.
    Kapitän Boswell hatte arrangiert, dass sie vorerst in eine Pension oberhalb eines Eisenwarengeschäftes zogen, das einem gewissen Mr. Peter Bard gehörte. Wortlos legte Charlotte die kurze wankende Strecke zu einem Bett zurück und legte sich hinein. Sie hatte Schmerzen in den Beinen, der Brust und seltsamerweise auch in den Ohren, die nur das elektrische Fluidum würde stillen können. Doch die Leidener Flasche, der geniale Kondensator, funktionierte nicht mehr an Land. Die Überfahrt war vorbei. Endgültig.
    Zwei Tage später, mit erstaunlich gutem Brot im Magen und einer dicken Fischsuppe, die ihr Sarah eingeflößt hatte, ließ sich Charlotte dazu überreden, sich wenigstens anzuziehen. Das lila gestreifte Kleid vielleicht? Oder das grüne aus Kattun mit den veilchenfarbenen Blumenstickereien? Dazu würde der große gelbe Hut mit den Vögeln und der Straußenfeder passen, denn draußen schien die Sonne. Draußen? Charlotte schaute entsetzt. Aber Sarah warb weiter. Mit richtigen, gesprochenen Worten, am Ende sogar mit ganzen Sätzen, sodass man sie nicht enttäuschen konnte. Mit hängenden Armen stand Charlotte da, ließ sich einschnüren, stieg dann in einen der wochenlang ungenutzten Reifröcke, legte nachlässig und freudlos, aber immerhin doch, Puder und Rouge auf. Sie spazierte in Samuels Schatten durch fremde Straßen, versuchte, sich auf das Gehen und Atmen zu konzentrieren, was ihr beides nicht leicht fiel. Sie vermisste das Salz in der Luft. Aber spätestens, als sie in die Mulberry Street einbogen, wusste Charlotte, dass Reifröcke in der neuen Welt nicht in Mode waren, die amerikanischen Damen sich ansonsten aber sehr schick kleideten. Zu einem gewissen Grad weckte das ihre Lebensgeister.
    Zerstreut und mit juckenden, kräftig sprießenden Bartstoppeln lief Samuel durch eine Stadt, die, das hatte man ihm oft gesagt, das neue Jerusalem sein musste. Die Zuflucht für alle wirklich frommen Menschen, die Hochburg eines neuen Christentums. Tatsächlich wurde überall gebaut. An zahllosen halbfertigen Häusern rankten sich Gerüste hoch, auf Schubkarren wurden unentwegt frisch gebrannte Ziegelsteine heran geschoben, in riesigen Bottichen wartete Mörtel, die Fassaden wuchsen stündlich, so dass häufig Passanten stehenblieben, den Kopf in den Nacken legten und dem Schauspiel zuschauten. Auf der gegenüberliegenden Seite schleppten Glaser funkelnde Scheiben heran und setzten sie in die Rahmen. Hoch oben auf den noch offenen Dachstühlen kletterten Zimmerleute so schnell wie die Matrosen in der Takelage. Es roch nach Teer, frischem Holz und Farbe. Ein Geruch, der Samuel gut tat. Männer, sowohl schwarze als auch weiße, schwangen Pickel und Schaufeln, redeten Englisch, Deutsch, Holländisch und in Sprachen, die Samuel noch nie gehört hatte, und legten neue Straßen an, an deren Rändern sofort neue Häuser gebaut wurden. Die Stadt wuchs ununterbrochen, prächtig und, auch das gefiel Samuel, erstaunlich sauber.
    Jeden Sommer kamen tausend Menschen aus Europa an, die Asyl fanden. Angeblich hatte Philadelphia schon fast 40 000 Einwohner und war jetzt die größte Stadt Amerikas. Eine Weile standen Charlotte, Sarah und Samuel, mit dem schlafenden Jakob auf den Schultern, vor der Christ Church mit den schlichten weißen Sprossenfenstern in den dunkelroten Backsteinmauern. Gerade war damit angefangen worden, einen Turm hochzuziehen. Neben ihnen ratterten ohne Unterlass Kutschen durch die Straßen, gelegentlich hielt eine an, und die Pfälzer schauten missbilligend, wie Frauen und Männer in Begleitung ihrer schwarzen

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