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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Druckerei Typen sortierten, in wieherndes Gelächter aus.
    »Es hat hier in Ephrata tatsächlich schon welche gegeben, die aus der Druckerei ein profitables Geschäft machen wollten, aber die sind Gottlob weg. Jetzt geht es uns wieder ausschließlich darum, die Herzen und den Geist der Menschen zu öffnen, damit Gott sie schneller besuchen kann. Deshalb drucken wir Bücher. Aber jetzt müsst ihr mitkommen. Sonst fallen ein paar meiner Brüder noch vor Hunger um.«
    Miller klatschte noch einmal begeistert in die Hände, als wäre er tatsächlich auf einem Fest.
    Der Raum war riesig und musste es auch sein. Irgendwann hörte Samuel zu zählen auf, doch er war sich sicher, dass fast hundert Frauen und Männer hereingekommen waren und sich jetzt rasch auf den Bänken entlang der beiden langen Tische niederließen. Sie nahmen keine Notiz von ihm. Vielleicht, auch das fiel Samuel sofort auf, weil sie so müde und erschöpft waren. Er war froh, dass ihm gegenüber die beiden Mennoniten saßen, Männer aus Schrot und Korn, die, wenn es sein musste, sich selbst vor den Pflug spannen konnten. Er fragte sie nach ihren Ernten. Wie sie ihren Boden düngten, interessierte ihn ebenso wie ihre Meinung zum Kleeanbau. Als weiße Tücher über den Tisch gebreitet und Steingutschüsseln serviert wurden, waren sie schon in ein tiefschürfendes Gespräch unter Bauern vertieft. Zuerst skeptisch, dann mit wachsendem Verständnis lauschten Kolb und Funck Samuels Erfahrungen mit der ganzjährigen Stallhaltung. Trotzdem winkten sie am Ende ab: Ihre Kühe ließen sie bis zum ersten Schnee frei herum laufen. Den Mist bräuchten sie zur Düngung nicht, sie hätten alle Kalkgruben, außerdem sei der Boden in Pennsylvanien fruchtbar genug. Viel fruchtbarer als in der trockenen Pfalz oder gar in den kargen Schweizer Bergtälern. Mit dem Getreide und Mais ließen sich so viele Rinder durch den Winter füttern, dass bei ihnen zu Hause jeden Tag ein ordentliches Stück Fleisch auf den Tisch komme. Auch für die Kinder und sogar, so betonten sie breit grinsend, wenn man zwölf davon habe.
    Umso mehr wunderte sich Samuel über das Essen, das er und die anderen sich nach dem stillen Tischgebet aus den Schüsseln schöpften. Fleisch gab es in Ephrata offensichtlich nicht. Dabei hätte er nach seinem langen Ritt gern etwas Herzhaftes zwischen die Zähne bekommen. Der Brei bestand aus nichts als geschälter, in Milch gekochter Gerste. Geschmacklos, pappig, schlimmer als der Mais-Suppawn bei der Witwe. Die beiden Mennoniten zwinkerten ihm zu, als er mit gerunzelter Stirn probierte. Alle Männer und Frauen dagegen, die weiße Kutten trugen, Peter Miller alias Agrippa eingeschlossen, aßen mit feierlichem Ernst und genüsslich halb geschlossenen Augen und löffelten noch den letzten Rest Brei aus ihren Tellern. Ganz so, als ob sie schon lange nichts mehr gegessen hätten. Als nächstes kamen Brotlaibe auf den Tisch, und die Mienen von Kolb und Funck hellten sich augenblicklich auf.
    »Das Brot von Ephrata ist berühmt für seine rösche Kruste. Aber kein Wunder, Conrad Beisel ist ja gelernter Bäcker. Hast du ihn übrigens schon kennengelernt? Nein? Na, dann hast du noch was vor dir!«
    Wieder grinsten Kolb und Funck sich an. Zu erschöpft von der Reise und all den seltsamen Eindrücken fragte Samuel nicht nach. Stück für Stück brach er von dem Brot und kaute ausdauernd. Nur so ließ sich ein süßsäuerliches, hellrotes Mus hinunterbekommen, das auch noch aufgetischt worden war.
    »Aus Kürbissen, du hast sicher schon davon gehört«, erklärte einer der Mennoniten. Samuel nickte.
    »Wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt. Aber am Anfang, als unser katholischer Nachbar es uns zum ersten Mal brachte, da haben wir ähnlich gewürgt wie du jetzt.«
    Als Samuel sich eine halbe Stunde später todmüde auf dem schmalen harten Bett ausstreckte, das ihm einer von Millers Gehilfen in einer Kammer zugewiesen hatte, konnte er trotzdem lange nicht einschlafen. Wie eine Wespe um eine aufgeplatzte Pflaume kreisten seine Gedanken um Kolbs katholischen Nachbarn. Man stelle sich vor, mit katholischen Leuten, also solchen, die goldenes Gerümpel in ihren Kirchen aufhäuften und Gott als weißbärtigen Großvater auf Bilder pinselten, an einem Tisch zu sitzen und zu essen, egal ob es dieses Kürbismus war oder etwas anderes. Was spielten sich in dem neuen Jerusalem nur für merkwürdige Dinge ab? Dementsprechend unruhig schlief Samuel und wachte gerädert noch vor

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