Der elektrische Kuss - Roman
mit ihr Kontakt auf. Jetzt griff er an.
»Deine Großmutter hat mir geschrieben und den Heiratsantrag dieses Herrn Schwerthalter aus Mannheim – oder heißt er Schwertfeger? Naja, naja egal – übermittelt. Fünf Stadthäuser, der Weinhandel mit Kunden bis London, eine Getreidemühle in Worms, zwanzig Weinberge bei Neustadt, verwitwet, kein lebendes Kind, nicht mal eine lumpige Verwandtschaft, weder der Sodomie noch dem Glücksspiel zugetan, im Gegenteil, der Kurfürst schuldet ihm Geld, der Antrag ist ernsthaft, die Konditionen picobello, dein monatliches Nadelgeld, mein Gott, ich wär froh, wenn das meine Einnahmen wären.«
Geispitzheim seufzte und fuhr dann im selben lakonischen Tonfall fort: »Er garantiert dir eine eigene, geschlossene Kutsche, zwei Zofen, ein Reitpferd. Du wärst Alleinerbin im Falle seines Todes ohne gemeinsame Kinder, abzüglich einer Stiftung für Winzerwitwen und Waisen und der Pflege für das Grab seiner ersten Frau. Mit gemeinsamen Kindern bekämest du einen komfortablen Witwensitz und dreißig Prozent Anteile am Firmengewinn. Einzige Bedingung, Du musst konvertieren, aber das, Lolottchen, macht der Mensch ja sowieso ständig in seinem Leben.«
»Ja, ja, ich weiß, und Paris ist eine Messe wert.«
Charlotte kicherte in sich hinein, hörte allerdings sofort auf, als sie bemerkte, wie erschöpft ihr Vater aussah. Über seine Augen hatten sich längst wieder abweisende Häute gestülpt. Denn die Flechse zwischen den Zähnen malträtierte ihn immer noch so, dass sein Kopf jede Minute mit grauenhaften Kopfschmerzen reagieren konnte. Trotzdem – Charlotte war immerhin sein einziges Kind – rang er sich noch einen weiteren Satz ab:
»Eine, wie sagt man so schön, glänzende Partie … in unseren Umständen.«
Die letzten drei Worte verstand Charlotte nur bruchstückhaft, weil ihr Vater sich noch näher an den Kamin schob und die Stuhlbeine auf dem Boden knirschten. Sie wusste aber auch so, was er meinte. Geispitzheims Vermögen bestand nur noch aus zwei Höfen. Deren Pacht reichte für ein auskömmliches Leben, doch ihr Vater tat sich schwer, auskömmlich zu leben.
»Keine standesgemäße Mitgift, kein standesgemäßer Bräutigam, das ist der Stand der Dinge«, sagte sie fröhlich und klatschte vor seiner Nase die Hände zusammen, als wollte sie eine Mücke totschlagen. Weil ihr Vater nichts darauf erwiderte, setzte sie sich auf sein rechtes Knie.
»Sie bekämen von einem solchen Schwiegersohn sicherlich kostenfrei Wein ins Haus geliefert …«
Sanft zog sie ihm die Hände vom Kopf, massierte seinen Schädel und blies ihren Atem zwischen seine Stoppelhaare.
»Papachen, das wäre doch wirklich eine feine Sache, der Herr Schwertfeger, pardon Schwerthalter, soll vorzüglichen Madeira und auch Sherry-Weine in seinem Depot haben.«
»Hm, hm, ich trinke lieber Rheinwein.«
»Aber die Damen mögen Madeira.«
Ihre Fingerkuppen walkten weiter seine Kopfhaut, Geispitzheim murmelte:
»Sein Vater soll angeblich noch selbst im Laden gestanden und die Weinfässer eigenhändig aufgeladen haben.«
Darauf ging Charlotte nicht ein. Es hatte sie noch nie sonderlich gewundert, dass ihr Stand bisher keine wissenschaftlichen Entdeckungen zustande gebracht hatte, so wie er Arbeit verachtete. Im Augenblick war ihr wichtiger, welchen Verlauf die Gedanken ihres Vaters gerade nahmen. Sie meinte, eine günstige Kurve zu beobachten. Da hieß es dranbleiben.
»Erinnern Sie sich noch an den bayerischen Baron, der vor einem Jahr hier angekrochen kam, zuerst Josef für Sie hielt und dann rote Flecken im Gesicht bekam, wenn ich ihm länger als drei Sekunden in die Augen schaute?«
Charlotte kicherte diesmal lauter und geriet auf dem Knie ihres Vaters ins Wippen.
»Worauf du kleine Kröte«, ergänzte Geispitzheim zunehmend gut gelaunt, »ihn das ganze Abendessen über unentwegt angeschaut hast. Am Schluss sah dieser Herr von Schießmichtot aus, als ob er Nesselfieber hätte.«
Vater und Tochter lachten herzhaft.
»Jedenfalls war es sehr klug von Ihnen, seinen Antrag abzulehnen. Wir hätten uns mit ihm garantiert zu Tode blamiert, nachdem ich mich schon vorher aus purer Langweile aufgehängt hätte.«
Kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, merkte sie, wie taktlos er gewesen war, und schlug sich auf den Mund. Der Blick ihres Vaters wurde glasig. Vor dem Baron hatte es nämlich noch einen Bewerber gegeben. Mit dem sich Charlotte tatsächlich auch verlobt hatte. Louis, ein Vetter dritten Grades. Seine Nase
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