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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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enthielt.
    »Ach, komm, du bist doch sonst so klug.«
    Im selben Moment kam ihr aber offensichtlich die rettende Idee.
    »Weißt du was, ich werd die Schuhe immer anziehen, wenn wir uns sehen und so lange …«
    Sarah hantierte eifrig am Fuß eines Erlenstammes, wo ein ganzes Bündel Triebe herausschoss, bog einige davon zu einem Art Korb zurecht, steckte ihren Schatz hinein und deckte ihn mit Blättern zu.
    »… bleiben sie hier, und niemand außer dir wird es wissen.«
    Als Charlotte an diesem Nachmittag nach Hause kam, fand sie eine Eildepesche mit einem protzigen dunkelroten Siegel vor. Manteuffel und mit ihm die Elektrisiermaschine träfen am 30. April mit der Postkutsche in Mainz ein. Von dort würde eine Kutsche des Fürsten Nassau-Weilburg sie abholen und ins Schloss nach Kirchheim bringen. Das Fräulein von Geispitzheim werde deshalb am 1. Mai gegen sechs Uhr Nachmittag zur Übergabe der Maschine und Zahlung der Restschuld erwartet.

Kapitel 4
    A m 1. Mai, kurz vor halb sechs Uhr, als die Vögel gerade zum Singen anfingen, verblutete Johanna Hochstettler. Ihr Sohn war zwei Stunden zuvor nach vielen, von Anfang an heftigen Wehen gesund zur Welt gekommen. Drei Frauen aus amischen Familien, darunter die in Geburtsfragen sogar bis in die Frönsburger Gemeinde hoch geschätzte Magdalena vom Münsterhof, hatten der Kreißenden so gut es ging bis zum Schluss beigestanden. Als klar war, dass nichts mehr zu machen war, stopften sie die mit braun geronnenem Blut vollgesogenen Laken und Tücher in einen Sack und schickten nach einer Amme für das Neugeborene. Samuel Hochstettler saß noch eine Weile erschöpft neben dem Bett seiner toten Frau, deren Nase scharfkantiger als zu ihren Lebzeiten aus ihrem Gesicht ragte. Dann hielt er das Stampfen und zornige Muhen der Kühe nicht mehr aus.
    »Gott gibt und Gott nimmt«, murmelte er, als er Sarah, die still in sich hineinweinend auf einem Hocker kauerte, seine schwere Hand für eine Weile auf die Schultern legte. Dann ging er zum Melken in den Stall.
    Einen Dreivierteltag später band Charlotte ihre Strümpfe mit kanariengelben Bändern oberhalb der Knie fest und knüpfte üppige Schleifen. Sie sagte sich, dass Manteuffel für sie ein kleiner Fisch sei. Diesen Pragmatismus verdankte sie ihrer Mutter, und sie wusste dieses Erbe auch zu schätzen. So betrachtet bekam sie die Maschine zu einem Spottpreis. Allerdings hatte Charlotte nicht die geringste Ahnung, was so ein ausgeklügeltes Gerät tatsächlich kostete, falls sie es in Gulden würde bezahlen müssen. Bei der Anzahlung waren die Berührungen des sächsischen Grafen auf ihrem Körper schneller getrocknet als feuchte Bettlaken an einem windigen Sommertag. Falls es sie für kurze Zeit danach gegeben hatte, so waren ihre Erinnerungen an seinen nackten Bauch oder Rücken längst verflogen.
    Unschlüssig fingerte Charlotte an einem honiggelben Kleid aus Brokat, das über einem Ständer drapiert war. Dieses oder das silbergraue, das im Rücken kaum sichtbar geschnürt wurde, standen zur Wahl. Das honiggelbe musste beim Ausziehen am Brusteinsatz aufgeschnitten werden, was sich mit einer kleinen Schere problemlos bewerkstelligen ließ. Eine Notwendigkeit, die, wie die Mutter ihr einmal mit derselben Bedeutungsschwere, die andere Menschen dem Satz des Pythagoras beimaßen, erklärt hatte, einer Gesetzmäßigkeit gleichkam, Männer um den Verstand zu bringen. Charlotte sah allerdings das Problem auf sich zukommen, dass sie sich auch wieder anziehen musste. Ohne Hilfe einer Zofe würde sie es unmöglich schaffen, den Brusteinsatz anzunähen, bevor der Empfang begann. Und ihre Mutter würde vor so einem Ereignis alle Hände brauchen, um sich massieren, schminken und frisieren zu lassen.
    Trocken wie Papier hatten sich seine dürren Beine angefühlt. Ihnen fehlten sogar Haare, nichts hatte sie gekratzt. Überhaupt schien sein Körper nicht mal in Haut zu stecken, so farblos war er ihr vorgekommen. Ohne Narben, ohne Muttermal. Und nach nichts hatte er gerochen. Nach gar nichts. Das war ihr dann doch als bemerkenswert aufgefallen. Aber sie konnte sich keinen Reim darauf machen.
    Früher, als sie noch nicht beim Fürsten lebte, liebte ihre Mutter es, prächtige Kinderfeste zu arrangieren. Sie bestellte dafür Gaukler, Zauberer, einmal sogar Zwerge und einen jungen Mohren, der fünfzehn Saltos hintereinander schlagen und auf Händen gehend Teller beladen mit Torten auf den Fußsohlen balancieren konnte. Bei solchen Anlässen quollen

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