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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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der alte Obristjägermeister Graf von Waldkirch, der gelegentlich, wenn die Damen aus Kaiserslautern kamen, bei ihrem Vater zu Besuch war, schwenkte hüft- und gichtleidend auf sie zu.
    Der Fürst von Nassau-Weilheim hatte eingeladen, was Rang und Namen hatte. Das Präsentieren wissenschaftlicher Sensationen war inzwischen noch prestigeträchtiger als die Besuche römischer Ausgrabungen. Preiswerter außerdem. Felix musste den Winter über recherchieren. Aus Mannheim wurde die neueste Ausgabe der » Bibliothèque raisonnée « geholt. In der Haude-Spenerschen Zeitung las der Fürst über zwei Seiten die wahnwitzigsten Sachen nach, die ein gewisser Nollet in Anwesenheit König Ludwigs XV. ausprobiert hatte. Dabei hatte er anscheinend elektrisiert, was sich nur elektrisieren ließ. Dann erzählte seine geschätzte Mätresse noch von den ehrgeizigen Passionen ihrer Tochter, und plötzlich drehte sich alles um die Maschine. Wer genau die Maschine aus Leipzig bestellt hatte, wozu und wem sie letztlich gehörte, interessierte den Fürsten nicht. Hauptsache, sie wurde an seinem Hof, vor seinen Gästen und eingesprüht mit seinem Parfum der Weltöffentlichkeit vorgeführt.
    Quasi über Nacht waren Kulissen auf Holzstellagen und Leinwände gemalt worden. Athene rannte, den Helm eines trojanischen Kriegers samt rotem Federbusch auf den Locken, nur mit einem flatternden gelben Schal bedeckt, der die wippende Brust frei ließ, und dramatisch hochgereckten Armen die Nordwand des Festsaals entlang. Im Himmel über ihr flogen Eulen. Blonde Nymphen, stämmig wie pfälzische Winzerinnen, und zwei furchterregende Zentauren begleiteten die göttliche Erscheinung. Arkadien bestand aus eilig gepinselten Buchen, Fichten und einem Wasserfall sowie fünf Zitronenbäumen und fünf borstigen Palmen in Kübeln, die am Nachmittag aus den Glashäusern herangeschleppt worden waren. Charlotte betrachtete die Szenerie eingehend, schon allein, um eine zu frühe Begegnung mit ihrer Mutter zu vermeiden, fragte sich allerdings, ob die Göttin der Klugheit und der Wissenschaften vor einer imaginären Gefahr flüchtete oder geradewegs vom Olymp nach Kirchheim in die Arme des Fürsten lief. Dabei fiel ihr auf, dass der rechte göttliche Fuß fast doppelt so lang war wie der linke und außerdem nur vier Zehen hatte.
    Graf Waldkirch stellte sich dicht neben Charlotte, stupste sie an und brummte: »Ich halte von dem ganzen Teufelszeug nichts. Gar nichts. Viel zu lange kein Krieg mehr gewesen, sonst kämen sie nicht auf solche Ideen.«
    »Sie meinen die Maschine?«
    »Maschinen, Maschinen, Experimente, weibisches Zeug, kein Mumm mehr in den Knochen, kein Wunder, dass alles drunter und drüber geht. Ein richtiger Krieg müsste mal wieder her.«
    Charlotte stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Stirn.
    »Das tut mir aber leid. Begleiten Sie mich trotzdem, Graf?«
    Waldkirch straffte unter Schmerzen seinen Oberkörper fast bis zu der Größe, die er zu den Zeiten gehabt hatte, als er am sächsischen und polnischen Hof ein und aus gegangen war, und reichte Charlotte den Arm.
    Um das Podest lief ein solides Geländer, das mit frischen Birkenzweigen geschmückt war. Ein weißes Seidentuch lag über nicht allzu großen, aber waghalsig herausstehenden Umrissen.
    Meine, sagte sich Charlotte. Natürlich hätte die Maschine am besten gleich in ihrem Zimmer oder wenigstens an dem stillen kühlen Ort unter dem Blätterdach stehen sollen, den nur der Bach, Sarah und sie kannten. Charlotte spürte, dass sie inzwischen nicht weniger schwitzte als alle anderen in dem überfüllten Saal. Noch aber brauchte sie Manteuffel, damit er ihr erklärte, wie das Ding funktionierte. Dass die halbe Kurpfalz es mitbekam, war ein notwendiges Übel. Das Menuett lief in einem Rinnsal aus. Auf dem Balkon erschienen rotgesichtige Burschen, die Charlotte als Gärtner aus dem Park kannte, blähten ihre Backen und bliesen trotzig wie zur letzten Schlacht in frisch polierte Trompeten.
    »Das hört sich schon besser an«, sagte Waldkirch erfreut und hängte sich so fest an ihren Arm, dass sie nicht klatschen konnte, als der Fürst mit seinem nonchalanten Lächeln auf den Lippen die Stufen des Podestes erklomm. Eine ausladende Geste mit der Hand, ganz der Mäzen von Welt, nicht ohne eine gewisse, fein dosierte Anzüglichkeit, und schon stand seine Mätresse neben ihm. Jetzt erst verstand Charlotte die Anspielung der goldenen Schärpe, deren Enden am Boden schleiften, und der rot

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