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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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schäumenden Straußenfedern auf dem Kopf ihrer Mutter. Die Athena von Kirchheim nickte, strahlte, applaudierte dem Fürsten so überschwänglich, als ob der gerade einen Bären erlegt hätte. Charlotte entging aber auch nicht, dass das fleischige Kindergesicht der Bretzenheimschen Enkeltochter an der strategisch wichtigsten Stelle lauerte. Schräg rechts von der Treppe zum Podest, wo der Fürst beim Hinunterkommen einen Moment innehalten und gespielt zurückhaltend Huldigungen entgegennehmen würde, bevor er weiterging.
    Zu Charlottes Überraschung betrat auch Manteuffel die Plattform der Olympischen und begann für seine Verhältnisse lange Sätze zu deklamieren, in denen immer wieder »elektrisches Seculo«, »göttlicher Funke der Wissenschaft« und »Fürst, der Licht in die Finsternis bringt« vorkam.
    Sie versuchte sich zu konzentrieren, atmete ruhiger ein und aus, dankbar, dass der Lakai ihr Kleid nicht bis zum Anschlag geschnürt und im Nachhinein auch, dass Manteuffel im Bett nur über seinen Zahn geredet hatte. Sie drehte sich nicht um, als Konferenzminister Freiherr von Hundheim heranrückte und ihr dreimal ein »Bravo« in den Nacken spuckte. Hundheim ging dazu über, Waldkirch aufzuzählen, wie viele Wildschweine er seit Januar zur Strecke gebracht hatte. »Bravo, bravo«, lobte wiederum Waldkirch. Allerdings so laut, dass die Herrschaften vom Podest herunter blickten, und Charlotte an seinem Arm rot wurde. Tröpfchen von Hundheims Spucke kitzelten sie am Ansatz ihrer Perücke.
    Der Clou war das Fußpedal. Sein rhythmisches Klicken klang unwiderstehlich. Charlotte pflügte sich energisch zwischen den Schultern einer mageren Dame, die sie als Gräfin von Parckstein erkannte, und denen eines gebannt starrenden jungen Mannes mit hüpfendem Adamsapfel und fleckig entzündetem Teint hindurch. Waldkirch ließ ihren Arm nicht los. Hundheim schlug sich hinter ihnen beiden durch und blieb ganz Ohr, denn jetzt berichtete Waldkirch. Davon, wie er als Achtzehnjähriger nach einem hitzigen Gefecht von Offizieren des großen Ludwig umzingelt worden war. Leider habe sich die Schleifung der Moschellandsburg nicht verhindern lassen. Doch die französischen Kavaliere hätten exzellenten Wein dabei gehabt und ihn anschließend zum Zechen eingeladen, zumal sich noch herausstellte, dass er mit einem der Herren über seine Mutter verwandt war. Hundheim fand das famos und applaudierte. Kabinettssekretär von Lamezan und eine kleine Dame mit viel Schmuck wichen, entrüstete Blicke werfend, auseinander, so dass Charlotte und ihre Anhängsel noch ein gutes Stück weiter Richtung Podest vorankamen.
    Sie hätte nicht vermutet, dass Manteuffels kümmerliche Beine so kräftig treten konnten. Seit ihre Mutter mit einer Handbewegung, als wäre es schon die dritte oder vierte Elektrisiermaschine, die sie der Öffentlichkeit übergab, das jungfräuliche Tuch weggezogen und dem Fürsten zu Füßen hatte sinken lassen, arbeitete der Sachse wie ein Verrückter. Charlotte hörte mittlerweile deutlich das mechanische Klicken.
    »170 Tritte pro Minute schaffe ich«, rief Manteuffel begeistert in den Saal hinein. Charlotte vermutete zu Recht, dass diese Leistung seine Zahnschmerzen verdrängte.
    »Schauen Sie, damit wird die Rotation dieses Glases erzeugt.«
    Manteuffel erklärte und gestikulierte mit weiten Bewegungen seiner rechten Hand, trat aber ununterbrochen mit dem Fleiß eines Handwerksgesellen das Pedal.
    »Ein ganz ordinäres Bierglas«, schimpfte Waldkirch empört, »aber die Sachsen haben eben einen Hang zum Gewöhnlichen.«
    Das Prinzip verstand Charlotte sofort. Drei Holzsäulen waren fest mit einer stabilen Basis verzapft. Zwischen den beiden vorderen steckte eine drehbare Verstrebung. In deren Mitte wiederum war besagtes Bierglas eingespannt. Bediente man das Pedal, wurde die Bewegung mittels einer Feder und einer Schnur auf das Glas übertragen und es drehte sich. Dabei schleifte das Glas kontinuierlich an einem dahinter angebrachten, prall gefüllten und mit Leder überzogenen Kissen. Charlotte nahm sich vor, sobald wie möglich nachzuschauen, welche Art von Stellschrauben wo saßen.
    »Ich habe berechnet«, schrie Manteuffel japsend aber triumphierend über alle Köpfe hinweg, »dass jeder Punkt des Glases, der das Kissen berührt, in einer Minute 680 Mal gerieben wird.«
    »680 Mal«, echote der Fürst und applaudierte sich selbst.
    Professor Winkler hat es berechnet und nicht du, widersprach Charlotte innerlich, war aber

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