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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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da, schaute und war zufrieden. Vor ihr stand ein Glas mit Holundersaft, an dem sie von Zeit zu Zeit nippte. Sie atmete den Geruch von frisch gewaschener Wäsche, der von der Leine zwischen zwei Apfelbäumen in die Küche hereinwehte. Obwohl sie inzwischen jede Kleinigkeit in der Stube und der Küche nebenan kannte, genoss sie es immer wieder, sich umzuschauen. Ihre Freude bestand jeden Tag darin, sich zu vergewissern, dass alles noch wie gestern auf seinem Platz stand oder lag. Die Kellen, Rührlöffel, Teigschaber, die Brot-, Ess- und Zerwirkmesser nach Größe geordnet, gewienert die Kupfertiegel zum Braten, zu ihrer Überraschung ohne eingebrannte Essensreste am Rand, die Schüsseln zum Anrühren von Teig, die Formen für Pasteten, Kuchen und Aufläufe. Die Platten, Kannen, Krüge und Tassen in Reih und Glied ohne abgeschlagene Nasen und Henkel. Überall herrschte sparsamer Bedacht und geputzte Ruhe. Die Wände waren fleckenlos weiß. Manchmal schaute Charlotte sich beim Schauen zu und amüsierte sich über sich selbst. Gewissermaßen waren ihre Besuche bei den Täufern auf dem Muckentalerhof ein neues Experiment.
    Dass sie sonntags nicht kommen konnte, war von Anfang an klar. Sarah hatte das wie nebenbei in einen Kochtopf hineingesagt, während sie stetig eine Suppe rührte, aber deutlich genug, damit sie sicher sein konnte, dass sie verstanden worden war. Wenn Charlotte also am Samstag, kurz bevor die Mägde, Knechte und Hochstettler zum Abendessen kamen, das Haus verließ, vertraute sie darauf, dass am Montag alles noch genauso sein würde. Sie erinnerte sich, dass dieselbe Sehnsucht nach Sicherheit in den Gebeten mitgeschwungen hatte, die sie als Kind mit ihrer Mutter vor dem Einschlafen gesprochen hatte. Allerdings war die Laune, in der sich ihre Mutter solchen Pflichten gewidmet hatte, nur von kurzer Dauer gewesen.
    Allerdings fiel Charlotte auf, dass Sarah nicht mehr so offen plauderte wie noch im Frühjahr in ihrem Versteck am Bach. Geheimnisse verriet sie keine mehr, und der Name Ruben fiel auch kein einziges Mal. Ihre Themen erschöpften sich im Alltäglichen. Charlotte vermutete, dass das Mädchen sich fürchtete. Davor, dass die Bibel Ohren hatte oder die auf dem Bord über dem Herdfeuer aufgestellten kupfernen Pfannen ihre Stiele zu ihr umdrehen könnten, falls sie zu viel preisgab. Intuitiv hielt sich Charlotte deshalb auch zurück. Die Fragen, die sie ihrer Freundin brennend gern gestellt hätte und die über Jakobs Gedeihen und die Frische und Zubereitung des Gemüses hinausgingen, dafür die versteckten Haare, Ösen und Haken im Einzelnen und die seltsame Weltflucht der Familie Hochstettler und ihren verschachtelten, unpraktischen Glauben im Allgemeinen betrafen, würden in dieser Stube und Küche ebenso hässlich auffallen wie Schimmelflecken an den Wänden oder stinkende Knochen in den Ecken und verboten sich deshalb.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sich Charlotte beklommen. Sie, die sonst ungestüm allem auf den Grund ging und Unsicherheit durch Angriff wettmachte, ging in Deckung. So mischten sich jeden Nachmittag mehr Tabus und Rätsel zu den Erbsen, geputzten Karotten und in Streifen geschnittenen Krautköpfen und wurden schließlich von Sarah in siedendes Wasser geworfen, gekocht, gelegentlich auch mit einer Mehlschwitze übergossen. Über die Wochen verebbte Charlottes Neugierde zwar nicht, schrumpfte aber mit der Gewöhnung an das Gegebene. Wobei sie sich des wahren Grundes für ihre Zurückhaltung durchaus bewusst war. Auf keinen Fall wollte Charlotte riskieren, dass ihr der Zugang zu diesem stillen Haus noch einmal verwehrt würde. Am Abend wollte sie sicher sein, dass sie am nächsten Nachmittag wieder mit Sarah am Tisch sitzen konnte. Bald wunderte sie sich auch nicht mehr besonders darüber, dass die Zeit hier anders verging als zum Beispiel im Kirchheimer Schloss, wo man sie regelrecht hören konnte. Klackklackklack eilten dort die Absätze der Stunden und Minuten auf den Steintreppen und über die langen Flure. Wenn nicht innerhalb von zehn Sekunden eine Figur über das Spielbrett geschoben wurde, flatterten die Augendeckel ihrer Mutter nervös, und ein oder zwei Gaffer spitzten schon die Münder und nahmen Witterung auf. Die Furcht vor Langweile ging um wie ein Gespenst und hielt sie auf Trapp, ob sie wollten oder nicht: Und was machen wir nach der Jagd und nach dem Empfang und vor dem Kartenspiel? Auf dem Muckentalerhof sah Charlotte zu, wie sich alles wiederholte und die

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