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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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dass er seit Johannas Tod niemanden hatte, mit dem er über seine Pläne reden konnte. Zwar machte er sich auch im Nachhinein keine Illusionen über Johannas tatsächliches Interesse. Aber sie hatte immerhin abends im Bett wach gelegen und ihm geduldig zugehört, wenn er von den Möglichkeiten gesprochen hatte, die Erde fruchtbarer und die Ernten ergiebiger zu machen. Ihre vagen Umrisse hatten ihm in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers Zuversicht gegeben. Wenn er jetzt morgens aufwachte, entdeckte er oft, dass er sein Geschlechtsteil in der Hand hielt. Dann floh er, so schnell es ging, in den Tag und in den Stall.
    Als das Fass viertel voll war, ließ es sich schon kaum von der Stelle rücken. Samuel sah ein, dass der Transport ein Problem werden würde. Schließlich stemmten sie zu dritt das Fass mit der hin und her schwappenden Gülle auf einen Holzwagen. Dabei klemmte sich Uri einen Zeh und schrie so fürchterlich, dass Sarah und Charlotte mit Jakob im Arm und den Mägden im Schlepptau herbeigerannt kamen. Neugierig, wie sie war, beugte sich Charlotte am weitesten vor, bis sich ihr Gesicht wellig in der klumpigen braunen Brühe spiegelte und der Gestank sich augenblicklich in ihren Magen grub. Ihre Augenbrauen hoben sich, und ihr Mund kräuselte sich schief.
    Eine Geste, die Samuel sofort als blanken Hohn übersetzte. Eine große Wut kroch in seinem Hals hoch. Nur einen Bruchteil von Sekunden später wirbelten vor seinem inneren Auge die Seiten der schweren Froschauer Bibel, die noch älter und besser war als die Übersetzung Luthers und die, seit er denken konnte, auf dem Küchentisch lag, bis die Buchstaben aus dem zwölften Kapitel von Matthäus wisperten: Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann biete die andere auch dar. Dieser Satz, den er sich die nächste Stunde immer wieder aufsagte, kämpfte mindestens so lange mit dem Wunsch, den kompletten Inhalt des Jauchefasses über das Fräulein von Geispitzheim zu kippen.
    Ende August waren beide Fässer randvoll. Die Stoppelfelder buken unter der Sonne wie vergessene Brote im Ofen. Strohhalme knackten unter den derben Schuhen der Männer, und graue Mäuserudel rannten vor ihnen her. Die Arbeit gestaltete sich mühsamer als gedacht. Der zähflüssige, mit Stroh vermischte Mist wurde in Eimer geschöpft, die an das eine Ende des abgeernteten Feldes geschleppt werden mussten. Dann verteilten Samuel und seine Knechte die vertraut stinkende Masse mit Rechen so flächig wie möglich. Die ganze Ladung reichte allerdings nur, um zwei Drittel des Ackers zu düngen. Aber immerhin, ein Anfang war gemacht, sagte sich Samuel und war zufrieden.
    Als der kurfürstliche Beamte wieder auf den Hof kam, erkannte ihn Samuel schon von weitem. Zwei Soldaten flankierten ihn, und eine große Staubwolke blähte sich hinter ihnen. Uri verschwand im Stall. Die Soldaten hoben ihre Gewehre, Samuel zweifelte nicht, dass sie sie einsetzen würden. Warum er zwei Flüchtlinge beherbergt habe? Franzosen, Illegale, Ketzer! Von Mennoniten und Routine war nicht mehr die Rede. Samuel hielt dem Blick des Beamten stand und stellte ruhige Gegenfragen.
    »Die beiden Schlawiner sind schon im Frühjahr geschnappt worden, weil einer von ihnen Fieber bekommen hatte und liegen geblieben ist. Zum Glück ist er gleich gestorben und hat keine Kosten verursacht. Der andere hat dann ausgepackt. Allerdings«, höhnte der Beamte mit unüberhörbarer Genugtuung in der Stimme, »mussten wir dabei nachhelfen.«
    Sein Unterkiefer schob sich vor, wie um seine Worte zu bekräftigen. Folter also, wieder mal. Dass die Pfalz kein neues Jerusalem war, hatte Samuel schon immer gewusst. Aber man hatte sie immerhin hundert Jahre in Ruhe gelassen. Jetzt wurden die Zeiten offensichtlich schlechter, der katholische Kurfürst hielt nicht viel von Toleranz.
    »Ich habe nur aus christlicher Barmherzigkeit gehandelt. So wie«, und Samuel erlaubte seiner Stimme jetzt sogar einen volleren Klang, »jeder anständige Mensch einen anderen aufnehmen müsste, wenn er müde und hungrig an seine Tür klopft. Oder sollen wir so hartherzig handeln wie die damals in Bethlehem? Die ihre Tür zuschlugen, als Josef mit seiner schwangeren Maria kam und eine Herberge suchte.«
    Die Soldaten gafften Samuel an, ihre Stiefel scharrten im Staub. Der Beamte schaute von seiner Kladde hoch und fragte überrascht: »Sie leugnen also nicht?«
    »Warum sollte ich leugnen? Ich habe vor Gott das einzig Richtige getan und Menschen Brot und Schutz

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