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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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vorne hingen, als ob sie unter einer Last langsam nachgaben. Schon an den Schultern hätte Samuel merken müssen, dass etwas mit Noah nicht stimmte. Er tat es auch, wollte es aber nicht wahrhaben. So schauten beide angestrengt auf ihre Hände, die, was selten vorkam, untätig und deshalb wie Fremde auf dem Tisch vor ihnen lagen, und schwiegen. Noahs plumpere, schaufelgroßen hielten nicht lange still, sondern malten merkwürdige fahrige Kreise, schabten nicht vorhandene Krümel ab und stemmten sich schließlich so lange gegen die gescheuerte Platte, bis sie unter ihrer schwieligen Röte weiß wurden. Die Gelassenheit, die jeder Täufer mit der Muttermilch einsog und mit jedem Atemzug befleißigte, drohte ebenfalls zu verschwinden wie ein Zugvogel.
    Obwohl er mit der Hoffnung gekommen war, seiner Angst Luft zu machen, begriff Samuel, dass der Mann ihm gegenüber, der sonst die Ruhe selbst war, ebenfalls ein Problem hatte. Behutsam strich er über seinen Bart und sagte, während sein Blick sich weiter ganz auf die Tischplatte konzentrierte:
    »Letztes Jahr hab ich zu viel Klee auf einmal verfüttert, sodass sich meine Kühe aufgebläht haben, als wären sie über Nacht trächtig geworden. Ich hätte wahrscheinlich Stroh daruntermischen und alles zusammen häckseln sollen. Trotzdem will ich heuer von Anfang an mehr trocknen. Was aber nicht einfach sein soll.«
    Geräuschvoll wie ein Blasebalg atmete Noah aus, und seine Schultern streckten sich etwas. Dankbar stürzte er sich auf den Knochen, den ihm Samuel hinhielt.
    »Du sagst es! Wenn man nicht vorsichtig ist, fallen die Blätter gleich von den Stielen ab, jedenfalls ist mir das passiert. Ich habe mir aber in der Gemeinde der Zweibrückner Brüder und Schwestern eine Methode angeschaut, die gut funktioniert.«
    »Ach, wirklich, und wie machen sie das?«
    Jetzt war es Samuel, der schnupperte.
    »Weil Kleeheu so viel schwieriger zu trocknen ist als Wiesenheu, bringen sie es gleich heim in die Scheune. Allerdings«, unterbrach sich Noah, um kräftig zu schnäuzen, wobei sein breites, geschnitztes Gesicht fast so friedvoll wie früher aussah. Auch seine Hände schafften es, still nebeneinander zu liegen, bevor er in seiner Erklärung fortfuhr: »… haben sie dort viel Arbeit investiert und in ihre Scheunen einen Fuß über dem Erdboden hölzerne Roste eingezogen. Darauf liegt dann der Klee, ohne zu faulen, und wird langsam, aber mit allen Köpfen und Blättern braun. Entscheidend ist auch die Hinterlüftung, deshalb haben die Zweibrücker noch extra Zuglöcher in die Seitenwände gebohrt.«
    Aufmerksam hatte Samuel zugehört, von Zeit zu Zeit anerkennend genickt, bis sein Blick sich schließlich doch wieder bekümmert an seinen Händen festhielt und besonders am Dreck unter seinem rechten Daumennagel. Eine Nachlässigkeit, die zusätzlich bewies, wie sehr die Dinge schon aus dem Lot geraten waren. Ein paar Mal schickte er Noahs Bericht noch ein trockenes »gut, gut« hinterher. Dann aber war der Knochen restlos abgenagt, und sie schwiegen wieder, beide in ihre Sorgen versunken. Die offene Kutsche, die er in Auftrag hatte geben wollen, erwähnte Samuel nicht, ebenso wenig wie Sarahs Verstummen und schon gar nicht das konfiszierte französische Buch.
    Das Schweigen der beiden Männer drückte gegen die frisch geweißten Wände und schwang hörbar mit dem Pendel der Standuhr mit. Mit jeder Minute, die verstrich, nahm es einen unangenehmeren Geruch an. Wahrscheinlich wären sie so auseinander gegangen, wenn nicht Noahs Frau in die Stube gekommen wäre, die Stühle streng zurechtgerückt und unverhohlen gefragt hätte:
    »Und was sagt Samuel zu unserem Unglück?«
    Es stellte sich heraus, dass der ehemalige Besitzer, von dem Noah seinen Hof zusammen mit Feldern und Wiesen gekauft hatte, das Anwesen jetzt zurückforderte.
    »Ein Katholischer«, sagte Noahs Frau bitter und zwang Samuel, während ihr Mann schamvoll die Augen niederschlug, ihr ins gramverzerrte Gesicht zu schauen.
    »Er gibt uns den Kaufpreis zurück und verjagt uns dann wie eine Mäuseplage. Ungeachtet dessen, dass wir den Hof erst zu dem gemacht haben, was er ist, und der Preis viel höher liegen würde. Vorher war doch hier alles ein liederlicher Saustall mit brachliegenden Feldern und klapprigem Vieh auf den Weiden.«
    Als handelte es sich um eine katholische Kehle, rüttelte sie an der Lehne eines Stuhls.
    »Frau! Reiß dich zusammen. Gott wird sich schon etwas dabei gedacht haben, warum er uns diese

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