Der Elfenhuegel
Gabbie ging die Treppe hinauf, wo sie im Licht über der Tür besser sehen konnte. Mark kehrte zu seiner Sortierarbeit zurück und nahm sich ein anderes Buch aus einem offenen Koffer.
Gabbie studierte angestrengt das Bild und konnte ihre Augen nicht davon losreißen. Nach einer Weile sagte sie: »Das ist falsch.«
Mark legte das Buch, das er gerade studiert hatte, zur Seite und kam zum Fuße der Treppe. »Was meinst du damit?«
»Er ist zu jung.« Sie sah auf Mark herunter, und er sah offensichtliche Furcht in ihren Augen. Ihre Worte kamen dick und gewürgt, als ob sie sie heraushusten müsse. »Das zeigt ihn als Baby, als kleinen Jungen.
Jetzt ist er älter.«
Mark rannte die Treppe hinauf und nahm das Buch sanft aus Gabbies zitternden Händen. »Was meinst du?« sagte er ruhig.
Tränen traten Gabbie in die Augen. »Schau dir dieses Gesicht an. Es ist kaum zu erkennen, aber er ist es.«
»Wer?«
Gabbie mußte schlucken. »Es ist der Junge aus der Scheune. Der versuchte…« Mark streckte sanft seine Hände aus und nahm Gabbie in die Arme. Sie zitterte wie ein verängstigtes Tier. »O mein Gott!« sagte sie, ein verzweifeltes, furchtsames Flüstern. »Ich werde verrückt.«
Während er sie festhielt, brach Gabbie in Tränen aus. Der Psychologe wußte, daß die Auflösung einer angestauten Furcht und anderer dunkler Gefühle auf lange Sicht gesund sein würde. Aber als Erforscher dunkler Mysterien wunderte sich Mark, daß ihn ihre Enthüllung nicht überraschte. Er hielt das Buch hinter Gabbies Rücken, wo er die Illustration, die sie sich angeschaut hatte, sehen konnte. Das Wort, das von dem jungen Kessler in altdeutscher Schrift an den Rand gekritzelt worden war, hieß Butze. Er wußte, es war eine Variante von Putzel oder Putz. Er schaute auf das Bild und schüttelte seinen Kopf. Sollte er so unsensibel gegenüber Wundern geworden sein, daß das Unmögliche ihn nicht mehr bewegte? Denn wenn Gabbie weder krank noch furchtbar durcheinander war, oder die Zufallsgötter sich nicht austobten, wäre dasselbe Mädchen, das Wayland Smith in den Wäldern traf, von Puck überfallen worden.
7
Phil schaute Mark mit offenkundiger Mißbilligung an. Als Gabbie und Mark aus dem Keller heraufkamen, war das Mädchen einer Hysterie nahe, unfähig, mit dem Weinen aufzuhören. Gloria war jetzt mit ihr oben, und Mark hatte angemerkt, daß man Dr. Latham konsultieren solle, falls sie sich nicht bald beruhigt habe. Phil hatte Mark mit Fragen bombardiert und war mit den Antworten nicht zufrieden.
»Phil, ich weiß, sie ist deine Tochter, und du bist aufgebracht, aber ohne ihre Erlaubnis kann ich über das, was sie mir erzählt hat, nicht reden.«
Phil kochte innerlich vor Empörung. Er stand in der Halle, die Hände an die Hüften gelegt, und war nicht in der Lage, seinen Zorn in Worte zu fassen. In seinem Innern schien etwas aufzubrechen, und die Wut kochte sozusagen vor Marks Augen. An ihre Stelle trat Angst. Er nahm einen tiefen Atemzug und sagte: »Entschuldigung. Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle.«
Mark zuckte mit den Schultern. »Immerhin gibst du gute Vater-Sprüche von dir.«
»Komm schon. Ich könnte einen Drink gebrauchen, und ich möchte nicht allein trinken.«
Mark schaute auf seine Uhr. Es war kurz nach Mittag. Normalerweise trank er so früh am Tag nichts, selbst bei Essen mit Verlegern, aber Phil sah so aus, als könne er einen Zuhörer gebrauchen.
Sie hatten sich gerade einen Scotch eingeschüttet, als Gloria erschien, nun ebenfalls zornentflammt. Sie nahm Phil dessen Drink aus der Hand, genehmigte sich einen großen Schluck und sagte: »Danke. Nun gieß dir einen ein.« Phil tat, wie ihm geheißen, während sie gegenüber von Mark Platz nahm. »Also, was verdammt geht hier vor?«
Phil sah seine Frau an, die normalerweise eine solche Ausdrucksweise vermied. Er konnte sehen, daß sie ebenso aufgebracht über Gabbies Zustand war, wie sie es wäre, wenn es um die Jungen ginge.
Komischerweise fühlte er sich nun besser, da seine Frau ihre Stieftochter so vehement beschützte.
»Ich habe gerade schon Phil gesagt, daß ich ohne Gabbies Erlaubnis nicht darüber sprechen kann«, gab Mark bekannt.
»Was bist du, ihr Arzt?!« sagte Gloria aufgebracht.
»Ich hab’ da oben ein Kind gelassen, das sich in eine Ohnmacht weint. Sie sieht aus, als käme sie frisch aus der Hölle. Sie ist offensichtlich verdammt verängstigt. Verdammt noch mal, Mark, was geht hier vor?«
Mark beugte sich nach vorne. »Zuerst
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