Der Elfenhuegel
paar glühende Augen unter dem Haus hervorspähten. Mit leisen Bewegungen trat eine Gestalt hinaus ins Mondlicht und betrachtete die Schüssel. Ernies Nase schnüffelte entzückt, und als er merkte, daß der unerwartete Schmaus frisch war, begann er, ihn aufzuschlecken.
Ein winziges Geräusch brachte den Kater dazu, sich umzudrehen.
Hinter ihm kam etwas Ungewöhnliches und Verwirrendes näher: ein kleiner Mann, nicht größer als die Katze, schwang seinen kleinen Spazierstock auf Ernie zu. Mit leiser und hoher Stimme schrie er:
»Shuu! Weg da!«
Die Katze sprang zurück, wollte zuerst den Mann unsanft anspringen, aber irgend etwas hielt den alten Kater davon ab. Hinter dem Mann kamen noch andere Gestalten zum Vorschein, und eine innere Stimme sagte der Katze, daß sie nicht zum Spielen da wären: Sie waren keine Beute und keine Feinde, nur merkwürdig. Ernie zog sich ein kurzes Stück zurück und setzte sich, um die Kreaturen zu beobachten. Es waren ein halbes Dutzend, alle kleine Leute, einige mit winzigen Flügeln am Rücken, einige auf ungewöhnliche Weise gekleidet, doch für die Katze sahen sie falsch aus und rochen fremdartig. Sie umkreisten die Milch, dann steckte einer von ihnen den Finger hinein, zog ihn wieder heraus und probierte. Er nickte, und die anderen beugten sich über das Geschirr und begannen zu trinken.
Dann tauchte noch etwas aus der Dunkelheit auf: etwas Gefährliches.
Die Katze machte einen Buckel und zischte. Ein schwarzes und angsteinflößendes Ding kam aus der Dunkelheit, es wirkte so böse, daß die Katze aufstand und zischend und jaulend nach hinten tänzelte. Die kleinen Leute drehten sich um, sahen, wie die schwarze Kreatur näher kam, und zogen sich alle von der Milch zurück, während sie ihre winzigen Fäuste in Frustration und Zorn schwangen. Aber auch sie ließen die Milch vor dem nahenden Bösen stehen und flohen unter das Haus. Ernie zögerte nur einen Moment länger, bevor er das Feld räumte. Er drehte sich um, rannte auf die Scheune zu und sprang hoch in einen der kleinen Apfelbäume. Als er den höchsten Ast erreichte, der ihn noch tragen konnte, kauerte sich der Kater nieder und beobachtete, wie das schwarze Ding zu der Milch ging. Seine Bewegungen boten einen höchst sonderbaren Anblick, als wenn ein Affe sich mit einer Spinne gepaart hätte. All das ging über das Verständnis des Katers hinaus, bis auf eins: Diese Kreatur war gefährlich. Sie war von einer dunklen Aura umgeben und einem bösen Gestank, als sie sich vor der Milch hinkauerte, und gab weiche Laute der Freude von sich, während sie trank.
6
Gabbie steckte den Kopf durch die Tür. »Gesellschaft gefällig?«
Mark saß auf dem Kellerboden inmitten eines Stapels alter Bücher und Koffer, schaute die Treppe hinauf und sagte. »Nee.«
Gabbie kam die Treppe herunter und setzte sich auf die unterste Treppenstufe, so daß Mark gezwungen war, zu ihr aufzuschauen.
»Probleme?«
»Nur irgendwelche Alpträume.« Sie schwieg eine Weile, als würde es ihr widerstreben, zu sprechen. Sie schaute sich das Durcheinander im Keller an. »Was hast du gefunden?«
»Eine Tonne voll ungewöhnlichem Zeug. Beide Kesslers sammelten ziemlich komische Sachen.« Er deutete auf ein Buch. »Thomas Mann; entweder eine Erstausgabe, die Hunderte von Dollar wert ist oder gänzlich wertlos. Ich muß einem befreundeten Buchhändler schreiben, damit er es herausfindet.« Er griff sich ein anderes Buch, Hermann Hesses Steppenwolf. Mark deutete auf einen weiteren Bücherstapel:
»Schlechtgeschriebener Schund über das Okkulte, hinterhältige medizinische Theorien über schleimfreie Ernährungsweise sowie die Vorteile von Eisbädern, dann Pornographie, Bestseller der Künstler, die sich nach dem Geschmack des Publikums richten, um ihre Werke gut verkaufen zu können, verrückte Philosophie, alle Arten von Unsinn.
Ich weiß wirklich nicht, wo sie das alles gefunden haben.« Mark erhob sich. »Es ergibt wenig Sinn.«
Gabbie nahm sich ein Buch oben vom Stapel neben der Treppe und las den Buchrücken. Es handelte sich um Thomas Keightleys The World Guide to Gnomes, Fairies, Elves, and Other Little People. »Hat das irgendeinen Wert?«
»Ich habe das Original, das 1850 als The Fairy Mythology veröffentlicht wurde. Das ist eine moderne Wiederauflage ohne jeden Wert«, gab Mark zur Antwort.
Gabbie bemerkte ein kleines Stück Papier im Buch und öffnete es auf der entsprechenden Seite. Dort war der Neudruck einer alten Zeichnung zu sehen.
Weitere Kostenlose Bücher