Der Elfenpakt
Fackeln erhellt, der Verkehr über die Loman Bridge. Zehntausende ihrer Untertanen waren dort, und dennoch hatte Blue sich nie zuvor so allein gefühlt. Eine einzige falsche Entscheidung konnte für so viele von ihnen den Tod bedeuten. Was sollte sie nur tun? Was war das Richtige?
Ein großes Stück Moos löste sich von dem Felsbrocken neben ihr und schlug weiter unten mit einem deutlichen Klatschen auf. »Verdammt!«, brummte es verärgert.
Blue sprang augenblicklich auf die Füße, ihre eine Hand griff in die Falten ihres Kleides nach dem tödlichen kleinen Stimlus, den sie für äußerste Notfälle zur Verteidigung bei sich trug. Es war so was von dumm gewesen, den Wachen nicht Bescheid zu geben, wohin sie ging, aber sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, Kaiserin zu sein.
»Bist du das, Blue?«
Sie starrte angestrengt ins Halbdunkel. Die Stimme kam ihr außerordentlich bekannt vor. »Flapwazzle?« Blue kniff die Augen zusammen. »Flapwazzle?«
»Ich kann doch nicht lügen«, gab Flapwazzle zu und schlängelte sich über den Boden auf sie zu.
Irgendwie fiel die Bürde ihres Amtes von Blue ab, und in ihrem Bauch schwappte eine kleine Woge der Freude. »Was machst du denn hier draußen?«
»Omron sammeln.« Das pflegten Endolgs bei Sonnenuntergang zu tun. Blue hatte es nie so ganz begriffen. »Als ich satt war, bin ich eingeschlafen«, sagte Flapwazzle. »Hab gar nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen. Oder überhaupt jemanden.«
Blues Probleme kehrten zurück. »Ich habe versucht, mir in einer gewissen Angelegenheit eine Meinung zu bilden«, erklärte sie.
Vielleicht würde er sie ja fragen, worum es ging – und sie war sich nicht sicher, ob sie ihn einweihen konnte, doch er sagte nur: »Ist bestimmt kompliziert, Kaiserin zu sein.«
Es kam ihr fast vor wie ein Witz, aber »kompliziert« traf es ziemlich genau. Niemand von ihrem Hofstaat oder ihren Beratern hätte dieses Wort jemals benutzt, aber »kompliziert« traf den Nagel auf den Kopf. Zum ersten Mal seit Tagen musste sie wirklich grinsen.
»O ja, das ist es, Flapwazzle. Komplizierter geht es gar nicht.« Wie sollte man wissen, was der eigene Onkel vorhatte? Kompliziert. Wie sollte man sich zwischen Krieg und Frieden entscheiden? Kompliziert.
Ein Gedanke flammte in ihr auf und versetzte sie in helle Aufregung. »Flapwazzle, würdest du mir einen Gefallen tun?«, platzte sie heraus. Sie konnte ihm ja nicht einfach einen Befehl geben – was sie ohnehin nicht getan hätte. Endolgs zählten streng genommen nicht zu ihren Untertanen – das war vielleicht auch der Grund, warum ihr diese so nahe liegende Möglichkeit nicht schon früher in den Sinn gekommen war.
»Klar«, sagte Flapwazzle sofort.
Ein Teil ihrer anfänglichen Aufregung verwandelte sich in Sorge. »Es könnte aber gefährlich sein.«
Flapwazzle hatte sich über einen ihrer Füße drapiert und hielt ihn so warm, dass sie wünschte, er hätte auch noch den zweiten bedeckt. »Gefahr ist mein zweiter Vorname«, sagte er. Dann fügte er rasch hinzu: »Ist natürlich bloß so eine Redensart, hab ich irgendwo aufgeschnappt. Ich habe gar keinen zweiten Vornamen, und wenn ich einen hätte, dann war es bestimmt nicht so was Hochtrabendes wie Gefahr. « Er zappelte ein bisschen. Endolgs waren einfach nicht imstande zu lügen, deswegen hatten sie auch mit Redewendungen so ihre Probleme.
»Könntest du meinem Onkel nicht einen Besuch abstatten?«, fragte Blue.
»Lord Hairstreak?«
»Genau dem«, sagte Blue grimmig. »Ich möchte, dass du nah genug an ihn herankommst, um deinen Wahrheitssinn einzusetzen.«
»Das wird ihm aber nicht gefallen«, sagte Flapwazzle.
Das war natürlich die Untertreibung des Jahrhunderts. Blue hatte ohnehin schon ein schlechtes Gewissen – es war wirklich ein gefährlicher Auftrag –, doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr schien ihr die Idee eine Lösung für all ihre Probleme zu sein. Und Flapwazzle war dazu in der Lage. Er war wirklich der einzige Endolg, den sie mit dieser Aufgabe betrauen konnte, und hatte sich schon viele Male bewährt.
Blue holte tief Luft und erzählte ihm alles.
»Du möchtest, dass ich herausfinde, ob es ein ernst gemeintes Angebot ist?«, fragte Flapwazzle.
Blue nickte. »Kannst du das?«
»Wenn ich nah genug herankomme. Es könnte schwierig sein, an seinen Wachen vorbeizukommen.«
»Ich könnte dich in sein Herrenhaus bringen«, sagte Blue und dachte fieberhaft nach. Sie könnte einen Staatsbesuch machen,
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