Der Elfenthron - Brennan, H: Elfenthron
ist sehr, sehr privat.«
»Jetzt nicht mehr«, sagte Blue.
»Sie hätte es wirklich nicht lesen sollen«, stöhnte Henry. Er konnte es immer noch nicht glauben. Da standen Dinge drin, bei denen es ihm peinlich wäre, wenn Blue sie läse, geschweige denn seine eigene Tochter.
»Nein, und ich nehme an, ich hätte auch ihres nicht lesen sollen«, sagte Blue. »Aber ich werde mich angesichts der Umstände nicht allzu schuldig fühlen.« Sie warf ihm ein unsicheres, aber ermutigendes Lächeln zu. »Ich mache mir jetzt nicht mehr so viele Sorgen über ihr Verschwinden wie vorher. Madame Cardui überprüft die Möglichkeiten einer Entführung, eines Attentats und all dieser Dinge, aber ich bin ziemlich sicher, das ist alles bloß typisch Mella. Sie verhält sich wie ein ganz normaler Teenager. Sie hat angefangen, sich Gedanken über deine Herkunft zu machen. Das machen Mädchen früher oder später, wenn es um ihre Väter geht. Du kannst es ihr nicht verdenken.«
»Aber ich habe ihr alles
erzählt
, was sie über mein Leben wissen muss«, protestierte Henry.
»Offenbar hast du ihr nicht genug erzählt«, sagte Blue trocken. »Oder du hast ihr vielleicht zu viel erzählt. Sie ist von deiner Mutter fasziniert.«
»Meiner Mutter?«, wiederholte Henry. »Warum sollte sich
irgendjemand
für diese alte Hexe interessieren?«
»Weil sie ein
Mensch
ist«, sagte Blue leise.
»Ich bin auch ein Mensch«, erklärte Henry.
»Ja, aber dich ist sie gewöhnt, und außerdem lebst du nicht mehr in der Gegenwelt. Deine Mutter führt immer noch ein Leben in dieser fremden und wunderbaren Welt, in der es Züge, Busse und Porridge gibt und in der man nicht einmal an Magie glaubt. Du weißt gar nicht, wie exotisch das ist für einen Teenager, der im Elfenreich lebt.«
Es gab einen langen Moment des Schweigens, bevor Henry sagte: »Sei nicht albern.«
Blue, sehr zu seiner Irritation, kicherte. »Ich bin nicht albern. Ich glaube bloß, dass Mella neugierig ist. Ich glaube, Mella ist neugierig auf ihre menschlichen Großeltern, die seltsame Wesen in einer seltsamen Welt sind, die sie noch nie gesehen hat, und ich glaube, sie ist doppelt neugierig auf ihre Großmutter, die zufällig mit einer anderen Frau schläft. Sie ist
fünfzehn
, Henry! Wir haben uns alle für Sex interessiert, als wir fünfzehn waren.«
»Ich nicht«, sagte Henry automatisch. Er dachte darüber nach, kam zu dem Schluss, dass das eine Lüge war, und starrte Blue finster an, als wäre das aus irgendeinem Grund ihr Fehler.
Blue ignorierte ihn. »Und hier geht es nicht bloß um Sex, es geht um die Sexualität
von Familienmitgliedern
. In ihrem Alter ist das einfach unwiderstehlich. Ich will damit nicht sagen, dass sie es tun will. Ich will damit bloß sagen, dass sie ihre faszinierende Oma kennenlernen will.«
Henry fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. »Oh Gott!«, sagte er. »Du hast einen Besuch bei meiner Mutter geplant!«
»Ja«, sagte Blue. »Ja, das habe ich. Ich glaube, die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass wir Mella bei ihr finden werden.«
»Und was machen wir dann? Nehmen wir sie wieder mit?«
»Natürlich nehmen wir sie wieder mit. Was sollten wir denn sonst tun?«
»Und was, wenn meine Mutter das nicht gestattet?«
Blue starrte ihn erstaunt an. »Sie ist unsere Tochter. Es geht deine Mutter nichts an, was wir tun.«
»Ich will da nicht hin«, sagte Henry starrsinnig.
»Warum nicht?«
»Es wird Streit geben. Sie mag es nicht, wenn ich Jeans trage.«
»Henry, du bist jetzt ein erwachsener Mann. Hör auf, dich wie ein Zwölfjähriger zu benehmen.«
Aber er
benahm
sich wie ein Zwölfjähriger: Er wusste das. Das Problem war, dass er Angst vor seiner Mutter hatte. Oder nein, er verspürte geradezu
panischen Schrecken
angesichts seiner Mutter, die übergriffig war und ihm dauernd Schuldgefühle machte und ihm sein Leben, als er jung gewesen war, komplett vermiest hatte. Damals hatte er es gar nicht erwarten können, endlich von ihr wegzukommen. Als es ihm schließlich gelang, hatte er sie jahrelang nicht mehr besucht. Ihrer Meinung nach hing er in der Wildnis von Neuseeland fest und kam womöglich nie wieder nach Hause. Wobei ihr das nicht allzu viel ausmachte: Sie hatte immer ihr eigenes Leben geführt. »Dann besuch
du
sie doch. Du brauchst mich nicht dafür.«
»Natürlich brauche ich dich«, sagte Blue verärgert. »Sie kennt mich gar nicht. Sie hat mich noch nie gesehen, denk bitte daran.«
Henry schluckte und sah sich um, als suche
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