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Der Engel Der Kurie

Titel: Der Engel Der Kurie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Brun
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römischen Adligen nicht zu verlieren, sowie dein Gelehrtendünkel, einem wie mir überlegen zu sein. Das führte zu einigen Entscheidungen, die ein reiner Verstand nicht getroffen hätte; du hast dich überhastet auf meinen Bauern gestürzt, bist materiell im Vorteil. Das mag dich zusätzlich in Sicherheit gewiegt haben, und du hast meine Kraft unterschätzt. Dann kam meine Drohung, der Bischof der weißen Felder wurde zunehmend gefährlicher, der Ritter wurde mutiger, und der zweite Läufer gewann an Beweglichkeit. Du spürst die Gefahr, und der Gedanke an die Niederlage macht dir Angst. Die Angst lähmt den Verstand. Wieder ein ungenauer Zug. Du bemerkst deinen Fehler und ärgerst dich; aber Zorn ist ein schlechter Ratgeber. – Begreifst du, was ich meine, Dominikaner? – Das ist die eine Seite. Nun zur anderen. Vielgestaltig sind die Figuren und ihre Bewegungen auf den vierundsechzig Feldern. Der Mächtige zum Beispiel, der dem Spiel Sinn und Inhalt gibt, wirkt nicht über seine unmittelbare Nachbarschaft hinaus. Der Ohnmächtige, der stets nur vorwärts schreiten kann, schlägt schräg, als ob jeder Erwerb durch seine Hand Unrecht wäre, und hat die wundersame Kraft in sich, selbst zu einem Mächtigen aufzusteigen. Die Dame dann, unfähig zu einem Amt in der Kirche, herrscht nah und fern beinahe schrankenlos und gereicht dem eigenen König zur Zier und dem fremden zu höchster Gefahr. Der unberechenbare Ritter springt kreuz und quer und ist doch der Vasall des Bischofs, denn wohl können zwei Alphini einen König ermorden, doch niemals können es zwei Reiter. Unnahbar, kraftvoll und geradlinig stehen die Türme wie wehrhafte Grenzburgen gegen die Anmaßung des Kaisers, doch sind sie zugleich schwerfällig und leichte Beute der trickreichen Springer. Keiner für sich hat Macht und Kraft, alles greift ineinander. Das ist die Kurie.«
    Jakob nickte und zog seinen Läufer vor die Dame, was Ambrogio mit einem Doppelschritt seines rechten Randbauern beantwortete.
    »Ich verstehe Euer Bild«, antwortete er und ignorierte, daß Farnese ihn seit geraumer Zeit duzte. Er tat mit einem Bauernschritt auf dem Damenflügel seinem Läufer ein Schlupfloch auf. Ambrogio schob den Randbauern weiter. Jakob erkannte die Gefahr, die von jenem Bischof ausging, den Farnese Fabricio Casale genannt hatte, und zog den Bauern vor den König, was Ambrogio ein Lächeln abnötigte, ehe er seine Dame ein Feld nach vorne setzte und begann, Jakob den Aufbau der Kurie zu erläutern.
    Der Dominikaner lauschte angestrengt, und es verging eine geraume Zeit, ehe er sich trotz des Zuhörens auf seinen nächsten Zug festlegte; er schob den Damenbauern ein Feld voran. Sein Gastgeber tat, als beachte er das Brett nicht mehr, sondern dozierte über den Vatikan mit der Besessenheit eines Gelehrten, der seine letzte Stunde nahen fühlte und noch sein gesamtes Wissen an seinen Famulus weitergeben wollte. Was für Kenntnisse dieser Mann hat, dachte Jakob und zwang sich dazu, jede Kleinigkeit aufzunehmen und zu bewahren.
    »Genug der Theorie«, brummte Farnese mitten in einem Gedankengang zur geheimen Kammer der Kanzlei und schlug sich auf den Schenkel. »Wenn sich die Macht bündelt, ist jede Gegenwehr zwecklos. Schau deine Stellung an! Unhaltbar. Du solltest den Becher nehmen, ehe ich dich mit Schmach überziehe!«
    Jakob schaute seinen Gastgeber ungläubig an; da schlug der weiße Springer den Bauern auf der Königsreihe. Wenn ich jetzt mit dem Bauern schlage, schlägt seine Dame zurück und bietet Schach, überlegte Jakob, zwingt mich ins Eck und rückt aufs nächste schwarze Feld direkt vor meiner Nase, gedeckt durch den namenlosen Bischof: matt. Wenn ich nichts tue, zieht Farnese den Reiter ab und erhält das Einfallstor für seine Dame im übernächsten Zug, bietet wiederum Schach und treibt mich in die Ecke: aussichtslos. Nehme ich den Bauern, zieht er das Pferd ab, erhält das Einfallstor … Er zupfte sich am Ohrläppchen, was er immer tat, wenn er ratlos oder angespannt war. Ambrogio lächelte. Jakob streckte die Hand nach seinem König aus, bereit, ihn umzustoßen, als seine Tischnachbarin ins Zimmer trat.
    »Herr, die anderen haben die Flügel geöffnet; wir sollten uns ihnen zugesellen.«
    Verdutzt hielt Jakob in der Bewegung inne.
    »Sie hat recht«, sagte Ambrogio, »und ihr beide solltet so tun, als ob ihr euch nach ihrem Schwächeanfall in einer separaten Kammer vergnügt hättet. Dein Kopf ist ja gerötet genug.«
    In diesem Augenblick

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