Der Engel Der Kurie
dir, es ist einer von diesen Purpurhüten im Vatikan, der unsere Huren zerfleischt. Die Wunden müssen ganz gräßlich sein. Ernesto, ein Sbirro aus meiner Gasse, spie sein Frühstück aus vor Entsetzen, als er eine Leiche bewachen sollte.«
Serena erschauderte bei dem Gedanken, ihre Tante könnte ein Opfer dieses Menschenschlächters geworden sein, aber noch hoffte sie auf Bibianas glückliche Rückkehr. Doch ihre Tante kam nicht; und als Serena mittags von ihren Marktweibern mit drei Quattrini entlohnt wurde, beschloß sie, auf eigene Faust im Borgo nach ihrer Tante zu fragen.
Unsicher nahm sie jedoch nicht den direkten Weg Richtung Vatikan, sondern durchquerte die Stadt und suchte die Piazza del Pozzo bianco auf, Roms zentralen Platz für alle Huren. Vielleicht lief ihr Bibiana dort über den Weg, es war ja immerhin möglich, daß sie nach dem Bischof Lust auf ein weiteres Geschäft verspürt hatte oder einfach dort mit einer Freundin Wein trinken wollte. Am Pozzo bianco jedenfalls kannte ihre Tante mehrere Dirnen aus der Gegend von Olevano und Genazzano, und es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß sie dort hängenblieb. Bibiana litt unter der Einsamkeit, die sie bei Apollonia empfand; die alte Kuppelmutter beschnitt die Kontakte ihrer Mädchen, so gut sie konnte, und versuchte, alle ihre Huren einzig auf die Arbeit auszurichten und so von sich abhängig zu machen. Eigentlich, dachte Serena, ist Apollonia eine alte Hexe, die nur gierig auf ihren Vorteil schaut. Diesem strengen Regiment wollte Bibiana stets aufs neue entfliehen, und meist tat sie das bei ihren Freundinnen auf der Piazza del Pozzo bianco, denn dort verkehrte Apollonia nicht. Ein schmaler Strohhalm war dies, nach dem Serena griff, als sie hinüberlief und die wenigen Huren, die sich in der Mittagszeit auf dem Platz sehen ließen, nach Bibiana fragte.
Das Mädchen merkte rasch, daß alles Fragen vergeblich war; niemand hatte Bibiana die letzten Tage gesehen, die Tante blieb verschollen. Als sie sich entmutigt auf die Treppe eines Palazzos setzte, kam ein kräftiger Junge auf sie zu und fragte, ob er ihr helfen könne. Er war von untersetztem Wuchs und hatte ein Vollmondgesicht, das Serena nur mäßig gefiel; aber seine Stimme klang sympathisch. Außerdem ließ sich dieser Cesare nicht abwimmeln; er bestand darauf, in ihren Augen eine herzzerreißende Hilfsbedürftigkeit gesehen zu haben, und betonte mit lässigem Nachdruck, er sei derjenige, welcher ihr helfen könne. Sein Lächeln ließ ihn hübscher wirken, auch wenn ihm der linke Schneidezahn fehlte; den hatte ihm bei einer üblen Rauferei ein Bursche aus der Gefolgschaft der Colonna herausgeschlagen, weshalb Cesare ein erklärter Todfeind der Colonna war und sich nichts sehnlicher wünschte, als daß Pompeo Colonna niemals zum Papst gewählt werde. Serena lächelte. Zu keiner Zeit, dachte sie, wird die Meinung dieses Gassenjungen irgendeinen Einfluß auf die Entscheidung eines Konklave haben; außerdem war Clemens kräftig genug, um die Geschicke Roms noch viele Jahre zu lenken.
»Ein Farnese«, erklärte Cesare, »wird der nächste Papst. Oder glaubst du, Ottavio spielt umsonst den Kanzler des Medici? Die Mächtigen schieben sich die Macht zu wie unsereins ein paar grüne Oliven gegen den ersten Hunger.«
»Nun«, erwiderte Serena kleinlaut, »ich mag nicht entscheiden, ob demnächst ein Farnese oder ein Colonna die Tiara trägt, und es ist mir auch egal. Mich kümmert vielmehr die Frage, ob meine Tante Bibiana in den letzten Stunden hier an der Piazza del Pozzo bianco aufgetaucht ist.«
Cesare machte ein nachdenkliches Gesicht. »Soweit ich es gehört habe, weiß niemand etwas von deiner Tante. Bist du sicher, daß sie hier gewesen ist?«
»Nein«, entgegnete Serena mutlos, »es war nur so eine Idee von mir, ich habe gehofft, sie hier zu finden. – Ich habe Angst.«
Der Junge blickte sie mit seinen dunklen Augen an. Er öffnete den Mund, sagte aber nichts; dann ging ein Ruck durch seinen Körper, und er legte seinen Arm um Serenas Schulter. Sie zuckte und wollte von ihm wegrücken, besann sich jedoch und ließ ihn gewähren.
»Ich helfe dir, deine Tante zu suchen«, beschloß Cesare. Er stand auf, hielt Serena die Hand hin und zog sie hoch. »Wo war sie zuletzt?«
Serena erzählte von dem Besuch beim Bischof von Rapolla und von dem Stoffetzen an der Ufermauer bei der Engelsburg. Cesare machte ein grimmiges Gesicht; zu anderer Zeit hätte sie darüber gelacht, denn es sah sehr
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