Der Engel Esmeralda
darauf, dass eine Aussicht Gestalt annähme. Da draußen gab es nichts außer staubigem Mauerwerk und Glas, die Rückseite des Industriegebäudes in der Nebenstraße.
Es war ein Loft, die Küche nicht komplett abgeteilt, und das Bett stand in einer Ecke des Raums, eher klein, ohne Pfosten oder Kopfteil, bedeckt von einer leuchtenden Berberdecke, das Einzige im Raum von einer gewissen Erlesenheit.
Sie wusste, sie musste ihm etwas zu trinken anbieten. Sie fühlte sich unwohl, war ungeübt mit unerwarteten Gästen. Wo setzt man sich hin, was sagt man, diese Dinge wollten bedacht sein. Den Gin im Kühlfach erwähnte sie nicht.
»Sie wohnen hier schon seit, na?«
»Seit knapp vier Monaten. Ich habe ein Nomadenleben geführt«, sagte sie. »Untermiete, bei Freunden, immer kurzfristig. Seit die Ehe kaputtgegangen ist.«
»Die Ehe.«
Er sagte das in einer Abwandlung des Baritondröhnens, das er zuvor bei »der Staat« eingesetzt hatte.
»Ich war nie verheiratet. Kaum zu glauben, was?«, sagte er. »Die meisten meiner Freunde in meinem Alter, eigentlich alle, verheiratet, Kinder, geschieden, Kinder. Wollen Sie irgendwann Kinder?«
»Wann ist irgendwann? Ja, denk schon.«
»Ich denke an Kinder. Ich komme mir selbstsüchtig vor, dass mir der Gedanke an eine Familie so widerstrebt. Egal, ob ich einen Job habe oder nicht. Bald hab ich wieder einen, und zwar einen guten. Das ist es nicht. Im Grunde hab ich einenRiesenrespekt davor, einen Menschen aufzuziehen, der so winzig und zart ist.«
Sie tranken Mineralwasser mit Zitronenschnitzen, saßen sich schräg gegenüber an dem niedrigen Holztisch, dem Couchtisch, wo sie immer aß. Das Gespräch überraschte sie ein bisschen. Es war nicht schwierig, nicht mal in den Pausen. Die Pausen waren ohne Peinlichkeit, und er wirkte ehrlich in seinen Bemerkungen.
Sein Handy klingelte. Er fischte es aus seinem Körper und sprach kurz, dann saß er da, das Ding in der Hand, und sah nachdenklich aus.
»Ich sollte daran denken, es auszuschalten. Aber dann denke ich, wenn ich es ausschalte, was versäume ich dann? Etwas absolut Unglaubliches.«
»Den einen Anruf, der alles verändert.«
»Etwas absolut Unglaubliches. Den total lebensverändernden Anruf. Deshalb respektiere ich mein Handy.«
Sie hätte gern auf die Uhr gesehen.
»Das war gerade doch nicht Ihr Termin, oder? Abgesagt?«
Er sagte Nein, und sie sah verstohlen zur Wanduhr. Sie fragte sich, ob sie wollte, dass er seinen Termin verpasste. Das konnte sie doch nicht wollen.
»Vielleicht sind Sie wie ich«, sagte er. »Sie müssen direkt vor etwas stehen, das gleich passiert, um sich darauf vorbereiten zu können. Erst dann nehmen Sie es ernst.«
»Reden wir von Vaterschaft?«
»Ich habe den Termin übrigens selbst abgesagt. Als Sie da drin waren«, sagte er und nickte Richtung Bad.
Sie verspürte eine seltsame Panik. Er trank sein Mineralwasser aus, legte den Kopf in den Nacken, bis ihm ein Eiswürfelin den Mund flutschte. Sie saßen eine Weile da und ließen das Eis schmelzen. Dann sah er sie direkt an, an einem der baumelnden Krawattenenden herumfingernd.
»Sagen Sie mir, was Sie wollen.«
Sie saß da.
»Weil ich merke, Sie sind nicht bereit, und ich will nichts überstürzen. Aber, na ja, jetzt sind wir hier.«
Sie sah ihn nicht an.
»Ich bin keiner von diesen kontrollversessenen Männern. Ich brauche niemanden zu kontrollieren. Sagen Sie mir, was Sie wollen.«
»Gar nichts.«
»Gespräch, Reden, egal. Zuneigung«, sagte er. »Dieser Augenblick ist nicht weltbewegend. Er kommt und geht auch wieder. Aber wir sind jetzt hier, also.«
»Ich möchte, dass Sie gehen, bitte.«
Er zuckte die Achseln und sagte: »Egal.« Dann saß er da.
»Sie haben gesagt: Sagen Sie mir, was Sie wollen. Ich will, dass Sie gehen.«
Er saß da. Er rührte sich nicht. Er sagte: »Ich habe den Termin nicht ohne Grund abgesagt. Ich glaube nicht, dass das hier der Grund ist, dieses Gespräch hier. Ich sehe Sie an und sage mir, Weißt du, wie sie ist? Sie ist wie jemand, der gerade gesund wird.«
»Ich bin bereit zuzugeben, dass es mein Fehler war.«
»Ich meine, wir sind jetzt hier. Wie ist es dazu gekommen? Das war kein Fehler. Wollen wir Freunde sein?«, sagte er.
»Ich glaube, wir müssen jetzt aufhören.«
»Womit aufhören? Was tun wir denn?«
Er versuchte, leise zu sprechen, dem Augenblick seine Schärfe zu nehmen.
»Sieist wie jemand, der gerade gesund wird. Schon im Museum habe ich das gedacht. Na schön. Gut. Aber jetzt
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