Der Engel mit den Eisaugen
am Tatort plaziert. »… So wie du ›mir scheint‹ sagst, kommt mir das wie eine Bestätigung vor.«
Doch eine mündliche Identifizierung genügte der Anklage nicht, sie wollte einen hieb- und stichfesten Augenzeugenbericht. Guedé hatte ausgesagt, dem Mörder durch das Fenster mit der eingeschlagenen Scheibe nachgeschaut zu haben, doch im Dunkeln habe er nur eine verschwommene Gestalt erkannt.
Der Staatsanwalt versuchte, seinen Blick zu schärfen:
»M.: Diese weibliche Gestalt, wer war das?
G.: Ich glaube, es war Amanda Knox.
M.: Amanda Knox …
G.: Glaube ich …
M.: Stimmte die Größe …
G.: So ungefähr … Ja.
M.: Wie war sie angezogen?
G.: Schauen Sie, das ist mein Problem. Es wäre leichter gewesen, wenn ich sie aus der Nähe gesehen hätte, so wie ich Sie jetzt sehe … Das Licht war nicht besonders gut …
M.: Hast du wenigstens erkannt, ob sie hell oder dunkel war?
G.: Ähm … grau … grau …
M.: Grau … Und wie waren die Haare? Was hatte sie für eine Frisur?
G.: Sie trug die Haare offen.
M.: Offen … Und etwas länger?
G.: Ja, sie waren ungefähr …
M.: Wunderbar, das reicht!«
Die Kriminalkommissarin Monica Napoleoni unterbrach das Gespräch genau in dem Moment, als Guedé zu zögern schien, Amandas Namen zu nennen: »Nun sag schon, dass es das Mädchen war!«
Und Guedé antwortete: »Amanda Knox.«
Sofort intervenierte Mignini, damit Rudy auch wirklich keinen Zweifel an dem Kontext ließ, in dem er Amanda erkannt haben wollte. »Und rannte sie? Floh sie?«
Guedé blieb keine Wahl: »Ja!«
Zu diesem Zeitpunkt hatte Mignini noch nicht gefragt, ob jemand bei dem Mädchen war. Das setzte er einfach voraus: »Und jemand war bei ihr …«
Guedé: »Jemand rannte nach unten.«
Jetzt ging es lediglich darum, diesem Jemand einen Namen zu geben, und dieser Name musste natürlich Raffaele Sollecito sein. Da gab es nur noch das kleine Problem, dass Guedé erklärt hatte, ihn nie kennengelernt zu haben. »Nie gesehen.«
Diese Schwierigkeit wurde von einem unverhüllten Vorschlag der Kommissarin Monica Napoleoni weggewischt: »Aber du hast ihn doch auf Fotos gesehen?«
Was hätte Guedé antworten sollen? »Seit ich wieder hier bin, natürlich schon … die Zeitungen.«
Und als würde das nicht reichen, fügte Kommissarin Napoleoni hinzu: »… das Fernsehen …«
Sofort griff Guedé das soufflierte Stichwort auf: »Ja, ich hatte die Möglichkeit, diese Person zu sehen.«
Von »nie gesehen« zu »gesehen« – ein erster, wichtiger Schritt war getan. Im zweiten ging es darum, herauszufinden, ob die Person aus den Zeitungen und vielleicht auch aus dem Fernsehen dieselbe war wie die, die Guedé in Merediths Wohnung kurz nach dem Verbrechen gesehen hatte. Und die er, wie er selbst sagte, nicht hatte erkennen können.
Und wieder half Monica Napoleoni Guedés Erinnerung mit einer Frage auf die Sprünge, die eigentlich eine Antwort war: »Ist es dir nach Merediths Tod möglich, die Person, die du in dem Haus gesehen hast, mit der aus dem Fernsehen in Verbindung zu bringen? Mit den Fotos aus den Zeitungen?«
»Guedé: Wie ich der Dame schon sagte: Da ich ja nach Italien zurückkam und einen Fernseher hatte und auch die Zeitungen gelesen habe, habe ich so einige Fotos gesehen, auch das von Sollecito.
Mignini: Von Raffaele Sollecito.
G.: Jemand, von dem ich nicht mal wusste, dass er existierte …
M.: Ja, ja.
G.: Von jenem Abend hat sich mir ein Bild eingebrannt. Aber wenn ich mir jetzt Fotos anschauen und die Person identifizieren soll … oder irgendwelche Ähnlichkeiten ausmachen soll … Das bringt mich ganz durcheinander …
M.: Kam es von der Statur her ungefähr hin?
G.: Ich könnte nicht sagen, wie groß er war …
M.: Die Körpergröße … sie ähnelte der von Sollecito.
G.: Ich habe ihn nicht gesehen, ich müsste ihn vor mir haben.
M.: Aber hast du den Kerl denn nicht vor dir gehabt?«
Später, nach der zehnminütigen Unterbrechung, wandte sich der Staatsanwalt mit einer überraschenden Frage an Guedé, der sich bislang immer noch nicht dazu hatte durchringen können, zu erklären, dass er Sollecito erkannt habe. Mignini schien Guedés Antwort schon vorwegzunehmen.
»Mignini: Hör zu, als du Sollecito also gesehen hast …
Guedé: Ja.«
Ich denke, es ist nicht voreilig, in den letzten Sätzen die Erklärung für die sonst so unerklärliche Unterbrechung zu sehen.
Als mit dem 16 . September 2008 der Zeitpunkt für das erste Verfahren
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