Der Engel mit den Eisaugen
schrieb eine Zeitung: »Amanda Knox macht wieder einmal von sich reden. Dieses Mal war es der Look, den sie gewählt hat, um an einem wichtigen Hauptverhandlungstermin den Saal zu betreten, in dem sie zusammen mit ihrem Freund Raffaele Sollecito als Angeklagte für den Mord an ihrer Mitbewohnerin Meredith Kercher betrachtet wird. Amanda Knox trug ein T-Shirt mit der Aufschrift ›All you need is love‹. Ein Hemd, das sich sicher für die jetzigen Tage eignet, in denen wir den Valentinstag feiern, doch ganz gewiss nicht, um einen Gerichtssaal zu betreten, in dem man sich gegen eine Mordanklage verteidigen muss.«
In einer anderen Zeitung hieß es: »Auf ihr weißes T-Shirt, das ihr der im Gerichtssaal anwesende Vater geschenkt hatte, war ein Song von den Beatles gedruckt. Es gab Anlass zu vielen Diskussionen wie überhaupt bei allem in diesem Fall, der die Angeklagten, mehr noch als das Opfer, zu Protagonisten macht.«
Doch in Großbritannien gab es Leute wie die Psychoanalytikerin Coline Covington, die noch sehr viel weiter ging. In der Online-Zeitung
The First Post
veröffentlichte sie einen Artikel über das Verhalten der jungen Frau aus Seattle, den viele andere Blogs und Zeitungen aufgriffen. Darin hieß es: »Das narzisstische Vergnügen der Knox, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, und ihre offenkundige Unbekümmertheit während eines Großteils der Verhandlungen weisen auf eine psychopathische Persönlichkeit hin.« Dann versteigt sich die Autorin zu der Behauptung: »Ihr Benehmen lässt unvermeidlich an die Arroganz von Eichmann im Jahr 1961 oder, etwas aktueller, an Karadžićs Selbstdarstellung vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag denken.«
Die Autorin dieser erstaunlichen Mini-Analyse behauptete, Amanda Knox würde der Kategorie der »psychopathischen Verführer« angehören. Diese seien Blender »par excellence«. »Der Spitzname, den man ihr als kleines Mädchen gegeben hat, als sie noch Fußball spielte, erhält eine neue Bedeutung. Ihr erschreckendes Auftreten ist ein Indiz gegen sie.«
Ein weiterer, unausgesprochener und womöglich sogar noch verheerenderer Grund für die schockierende Wirkung des T-Shirts auf ganz Perugia war die Nähe der Stadt zum asketischen Assisi, der Wiege des Mystizismus der Franziskaner – die Nähe zu einem der bedeutendsten Orte des Christentums. Der Liedtitel der Beatles reflektierte, wenn auch sehr locker, ein grundlegendes Prinzip der Botschaft Christi: die Liebe. Und diese Botschaft hatte sich Foxy Knoxy zu eigen gemacht, ausgerechnet diese junge Frau, die in den wenigen Wochen ihrer Anwesenheit immer wieder andere Männer bei sich empfing und Joints rauchte. Das war nicht nur inakzeptabel, es war blasphemisch. An ihrem Körper wurde das christliche Gebot der Liebe zur Gotteslästerung. Was brauchte es noch, um ihre Schuld zu beweisen?
Zwei amerikanische Journalistinnen beschlossen, einen »Schnellschuss« über den Fall zu fabrizieren, das erste Buch zu dem Thema, das in Amerika erscheinen sollte. Eine von ihnen war Barbie Latza Nadeau, Korrespondentin in Rom und vollkommen ahnungslos, was journalistische Gerichtsberichterstattung betrifft. Ursprünglich hatte sie sich auf bunte Themen wie Brauchtum, Gesellschaft und Mode spezialisiert. Nun schlug sie also ihre Zelte in Perugia auf. Um an ergiebige und gleichzeitig von keiner Autorität anfechtbare Informationen zu gelangen, wählte sie den einfachsten Weg und wandte sich direkt an Mignini, »in dessen Büro ich mich«, so schrieb sie, »an einem warmen Sommertag niederließ«. Der Staatsanwalt zögerte keine Sekunde, seine Deutung der Dinge bis nach Amerika zu verbreiten, wo sich langsam die ersten kritischen Stimmen vernehmen ließen.
Das Ergebnis war das Buch
Angel Face,
das bei Beast Books erschien, dem Verlag der berühmten Tina Brown, die die Onlinezeitschrift
The Daily Beast
herausgibt. Auch dies natürlich eine neue Anklageschrift gegen Amanda.
Im Werbetext für das Buch heißt es: »Nur wenige Amerikaner hatten Gelegenheit, von der erdrückenden Beweislast zu erfahren, die das Schwurgericht davon überzeugte, dass es sich bei Amanda Knox um eine der drei Personen handelte, die Meredith Kercher sexuell attackierten, ihren Körper schändeten und ihr die Kehle durchschnitten. In
Angel Face
beschreibt Barbie Nadeau, die persönliche Beziehungen zu wichtigen Schlüsselfiguren unterhielt, wie die Familie Knox alles Menschenmögliche versucht hat, um die Medien zu
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