Der Engel mit den Eisaugen
diabolischen Wesen überzeugt, doch ich bin vom Gegenteil überzeugt, denn sie hat zwanzig Jahre in unserer Nachbarschaft gelebt, und wir alle hatten Gelegenheit, genau das Gegenteil von dem wertzuschätzen, dessen man sie jetzt verdächtigt. Unsere gesamte Gemeinschaft kann ihre Herzensgüte bezeugen.«
Die Reaktion der Staatsanwaltschaft wurde im Lokalteil von
La Nazione
abgedruckt: »Der Brief des Stars-and-Stripes-Richters, eines Freundes der Familie Knox, hat für viel Entrüstung und eine Flut von Polemiken gesorgt. Wenn das ein italienischer Richter verfasst hätte, wäre er wahrscheinlich vor dem Obersten Gerichtsrat gelandet.«
ABC
sendete Steve Moores gewissenhaften und gut recherchierten Beitrag zur Verteidigung Amandas. Steve Moore ist nicht nur ein Ex-Sonderbevollmächtigter des FBI , sondern auch der Supervisor der Ermittlungseinheit, die sich mit Gewaltverbrechen und mit al-Qaida in Asien und Pakistan befasst. Im Brustton der Überzeugung erklärte Moore, die Beweise würden zeigen, »dass die junge Frau aus Seattle nicht der Mörder sein kann«.
Der Ex- FBI -Agent ging noch weiter: »Die vor Gericht präsentierten Beweise sind fehlerhaft, der Prozess wurde manipuliert.« Er selbst war überzeugt, dass der Mörder nur Rudy Guedé sein konnte. Moore zufolge war es bei so viel Blut am Tatort ausgeschlossen, dass Amanda und Raffaele nicht die kleinste Spur hinterlassen haben sollten. Und am Tatort, so Moore weiter, sei abgesehen von dem Opfer ja auch nur die Anwesenheit einer einzigen Person nachgewiesen worden. Daher kam er zu folgendem Schluss: »Vor einem amerikanischen Gericht wäre ein Großteil der Beweise gar nicht erst zugelassen worden.«
Nicht nur in Amerika, auch in Italien meldeten sich Journalisten zu Wort, die Partei für Amanda und Raffaele ergriffen und die Ermittlungen, vor allem aber Staatsanwalt Mignini, harsch kritisierten.
Die erfahrensten italienischen Gerichtsreporter, zu denen auch ich mich selbst zähle, sind nach gut zehn Jahren in italienischen Gerichten zynisch geworden. Auch wenn sie sich in der Presse nie dazu äußerten, waren sie sich über den Ausgang des Prozesses einig: »Verurteilung in erster Instanz, Freispruch in zweiter.« Laut diesen desillusionierten Leuten würden die italienischen Staatsanwälte einander protegieren und daher eine solche Lösung wählen. Somit würde die Staatsanwaltschaft von Perugia keine totale Schlappe erleiden, und die beiden jungen Leute würden doch noch freikommen. Amanda und Raffaele hätten dann zwar vier Jahre ihres Lebens verloren, aber was war schon dabei?
Es war praktisch unmöglich, den Journalisten, vor allem den angelsächsischen, diese Vorhersagen zu erklären. Dennoch bewahrheiteten sie sich, sei es, weil die Zyniker recht hatten, sei es aus einem anderen Grund.
Auf die Kritiken, die aus dem Ausland nach Italien drangen, reagierte Mignini wie immer: mit einem Bombardement aus Anzeigen wegen Rufmords, die man hier schwerlich alle würdigen kann.
Eine der spektakulärsten war sicher die, die sich gegen das amerikanische Wochenblatt
West Seattle Herald
richtete. Im Januar 2009 war in der Zeitung ein Artikel erschienen, der die unzulängliche Beweislage in den Ermittlungen zum Fall Meredith Kercher kritisierte. Darüber hinaus hieß es, dass Gerichtsexperten, die nicht namentlich genannt werden wollten, Mignini als »mental instabil« einschätzten. Am 1 . Februar wurde der Artikel im Internet veröffentlicht. Elf Tage später teilte Mignini der
BBC
mit, er habe ein Verfahren wegen Rufmordes gegen den
West Seattle Herald
eingeleitet. »Ich erfreue mich bester Gesundheit«, soll Mignini laut
BBC
geäußert haben. »Ich gehe kaum zum Arzt, und ich habe noch nie einen Psychologen aufgesucht.«
Auch dem amerikanischen Autor Joe Cottonwood drohte der italienische Staatsanwalt mit einer Klage wegen Rufmordes. Wie Cottonwood dem CP J (Committee to Protect Journalists) mitteilte, war der Grund dafür eine E-Mail, die er einem befreundeten italienischen Reporter geschickt hatte. Darin hatte der Schriftsteller Mignini einen »intellektuell unehrlichen Rüpel« genannt. Im August 2009 wurde diese Äußerung in der Tageszeitung
Il Giornale
veröffentlicht, woraufhin der Staatsanwalt auch dessen Direktor Vittorio Feltri verklagte.
Im September 2010 erhielt Giangavino Sulas, investigativer Journalist des Wochenblatts
Oggi,
die offizielle Mitteilung, Mignini habe als Reaktion auf einen vor wenigen Monaten veröffentlichten Artikel
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