Der Engel mit den Eisaugen
kontrollieren, die Tatsachen zu verzerren, die Gemüter der Amerikaner zu erregen und ein beleidigendes und falsches Bild des italienischen Justizsystems zu verbreiten.«
Ein Werbetext, der Migninis Meinung exakt wiedergibt, wonach – in Nadeaus Worten – »die italienische Justiz mit Hilfe gut organisierter journalistischer und politischer Operationen Gegenstand einer systematischen Verunglimpfung wurde«.
»Ein Komplott«, folgert die amerikanische Journalistin, womit sie ein weiteres Mal den Staatsanwalt aus Perugia zitiert.
Bald darauf beschlossen viele ausländische Zeitungen und einige italienische Blätter, sich die Sache aus der Nähe und vor allem mit eigenen Augen anzusehen, um zu verstehen, was sich wirklich in Perugia abspielte. Rasch begriffen sie, wie wenig Bestand die sogenannten Beschuldigungen gegen Amanda und Raffaele hatten. Sie entlarvten das angebliche Tatmotiv – blutiger Halloween-Ritus oder sadistische Sexspiele – als, gelinde gesagt, phantastische und aus der Luft gegriffene Behauptungen, die jeder sachlichen Grundlage entbehrten. Nach und nach erschienen erste Artikel, die Partei für die beiden jungen Leute ergriffen und damit unweigerlich Polizei und Staatsanwaltschaft in Perugia in ein kritisches Licht rückten.
Und nicht nur das: Die angelsächsischen Medien, für die Pressefreiheit heiliger ist als südlich der Alpen, waren entsetzt, als sie mitbekamen, wie viele gelenkte und vertrauliche Informationen an die Presse weitergegeben wurden, die nur dazu dienten, ein negatives Bild von den Angeklagten zu zeichnen.
»Eigentlich kann ihr gleich die Boulevardpresse den Prozess machen«, schreibt Stephan Faris polemisch in der
Times,
»denn die Richter und die Geschworenen müssen inzwischen sehr viel mehr abwägen als nur die Frage nach Unschuld oder Schuld. Ist die Knox eine Heilige oder eine Sünderin? Eine Madonna oder eine Hure? Welcher Spitzname haftet ihr am meisten an: Engelsgesicht oder Foxy Knoxy?« Im
Magazine
USA
heißt es dazu: »Das Urteil über die Knox wird gemäß jener Betitelung ausfallen, die bei den Entscheidungsträgern die größte Resonanz findet.«
Die ausländischen Journalisten hatten Mühe zu begreifen, weshalb bei diesem Fall die neuesten Ergebnisse plötzlich das exakte Gegenteil der vorangegangenen waren, weshalb sich die Schuldigen von gestern am nächsten Tag auf einmal als unschuldig erwiesen. Die
Times
versuchte, darauf eine Antwort zu geben. In einem harschen Leitartikel kritisierte sie die italienischen Prozesse, die sich mehr in den Medien abspielen würden als in den Gerichten. »Das ist italienischer Stil«, klagte die Zeitung. »In Italien existiert das Wort ›Verdacht‹ nicht mehr. Das Fernsehen und die Presse verurteilen schon, bevor der Prozess überhaupt begonnen hat. Die Ermittler und die Richter spüren den Druck der öffentlichen Meinung, die sich durch Zeitungsartikel und Talkshows immer weiter aufheizt.« Nach Ansicht der
Times
sei es unter solchen Bedingungen schwierig, gelassen über einen Angeklagten zu urteilen, denn »in vielen Mordfällen wird nicht nur der Schuldige, sondern oft genug auch ein Unschuldiger verdächtigt«.
Für die
New York Times
lag die Schuld für das Drama, das Amanda erlebte, allein bei den italienischen Medien, die sie als eine lasterhafte Perverse dastehen ließen. Für den Sender NBC hingegen war die Polizei verantwortlich. Auf YouTube wurde ein Video gepostet, in dem die berühmte Anwältin und ehemalige Chefanklägerin Anne Bremner erklärte, sie könne die Fehler der Ermittler nachweisen – und dies lange bevor diese Fehler im Jahr 2011 tatsächlich in einem vom Berufungsgericht bestellten Hauptgutachten bestätigt wurden.
Inzwischen war Amanda bereits zur Heldin des Internets avanciert, ihr Schicksal war nicht nur unauflöslich mit dem Prozess verbunden, sondern auch mit den Medien.
Die berühmte feministische Schriftstellerin Erica Jong, Autorin vieler Bestseller, darunter auch
Angst vorm Fliegen,
hatte keine Zweifel: »Wir haben es mit der Wiederholung eines Drehbuchs zu tun, das so alt ist wie die Welt selbst. In den Justizsystemen der halben Welt ist es immer die Frau, die auf der Anklagebank landet. Man muss ja nur mal sehen, was in Italien im Fall Amanda Knox geschehen ist, die anstelle von Rudy Guedé von allen für schuldig gehalten wird.«
In ihrem Buch
Murder in Italy,
das noch vor Amandas und Raffaeles Freispruch veröffentlicht wurde, listet die Autorin Candace Dempsey Fehler
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