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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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Migninis, verstieg sich in ihrem Blog zu der Behauptung, Amanda, Raffaele und Lumumba würden dem Orden der Rosa Rossa angehören, dem Orden, der angeblich hinter dem Monster von Florenz stand. Und dessen überaus einflussreiche Mitglieder hätten auch die Universitäten von Leeds und Seattle infiltriert, die Universitäten von Meredith und Amanda. »Beide Frauen«, schrieb sie, »wurden nach Perugia geschickt, um einen Ritus abzuhalten, ohne zu wissen, wer von ihnen das Opfer und wer der Henker sein würde.«
    Direkt nach der Haftprüfung, als Amanda von ihrem Recht Gebrauch machte, nicht auf die Fragen des Richters zu antworten, schrieb die Carlizzi: » VERBRECHEN MEREDITH : ALLE SIND UNSCHULDIG , NIEMAND WILL DORT GEWESEN SEIN  … AMANDA ANTWORTET NICHT  … DER RICHTER BEHÄLT SICH EINE ENTSCHEIDUNG BIS MORGEN FRÜH VOR . EIN VERHALTEN , AUS DEM SICH KLAR ABLEITEN LÄSST , DASS JEMAND SEHR VIEL HÖHERGESTELLTES DAHINTERSTECKT . DER ANFÜHRER DER SEKTE  … WENN SIE REDEN WÜRDEN , WÜRDE MAN SIE VERMUTLICH UMBRINGEN  … WENN SIE NICHT REDEN ODER SICH FÜR UNSCHULDIG ERKLÄREN , MACHT VIELLEICHT JEMAND EINEN FALSCHEN SCHACHZUG  … DIE SEKTE IST INTERNATIONAL , UND DIE SEITEN , ÜBER DIE SIE IHRE ANHÄNGER MITEINANDER IN KONTAKT TRETEN LÄSST , SIND MIT SCHLÜSSELWÖRTERN KODIERT  … SCHLÜSSELWÖRTER , DIE WIR DECHIFFRIERT HABEN UND DIE WIR DEM STAATSANWALT , DOTTORE MIGNINI , NOCH HEUTE ABEND ÜBERMITTELN .«
    Neben diesen Wahnvorstellungen schwirren alle möglichen Wörter durch das Web, Klischees aus schlechten Noir-Romanen, Adjektive, die dem Feuilleton aus dem 19 . Jahrhundert oder irgendeinem Blockbuster entliehen scheinen: Sex, Lügen, Drogen. Die
dark lady
aus Seattle, Engel und Dämon. Hure oder Madonna. Mörderin oder Heilige. Der schwarze Engel. Hunderte von Männern, ihr Hunger im Bett ist nicht zu stillen, eine sexsüchtige Teufelin. Eisige Augen.
    Es ging sogar so weit, dass die unwahrscheinlichsten psychoanalytisch angehauchten Diagnosen aufgestellt wurden: »Amanda hat mit ihrer Mutter um die Aufmerksamkeit von Männern konkurriert.« Um Amanda Knox’ Persönlichkeit zu ergründen, wühlte die englische Presse im Privatleben ihrer Mutter Edda Mellas. Laut der
Mail on Sunday
war Amanda zutiefst erschüttert von deren Hochzeit mit Christopher Mellas, einem Mann, »der ihr eigener Bruder hätte sein können«. Von jenem Moment an habe sie begonnen, um die Aufmerksamkeit von Männern zu buhlen und sich Frauen gegenüber aggressiv zu verhalten. Dabei hatte die Zeitung übersehen, dass sich die Mutter von Amandas Vater scheiden ließ, als diese gerade mal ein Jahr alt war.
    Dann entdeckte jemand, dass Amanda im Juni vor ihrer Ankunft in Italien ein Profil auf Myspace erstellt hatte, in dem sie sich den Spitznamen »Foxy Knoxy« gegeben hatte – natürlich wurde auch ihm wieder die sexuelle Konnotation angeheftet. Foxy Knoxy, ein sehr effizienter Spitzname, wenn es darum ging, Amanda als die böse junge Frau im Mordfall Meredith dastehen zu lassen, grassierte in amerikanischen, englischen und italienischen Zeitungen.
    Amanda Knox bemühte sich vergeblich, die Sache aufzuklären: »Die Übersetzung ist falsch, das ist ein Spitzname, den ich als kleines Mädchen hatte, als ich noch Fußball gespielt habe. Er bedeutet ›die Füchsin Knoxy‹, er reimt sich, und das war’s. Aber der Staatsanwalt hat ihn benutzt, um zu behaupten, ich sei verrückt und böse.«
    Doch es half nichts: Sie war abgestempelt, der giftige Spitzname »Füchsin« war ihr wie ein scharlachroter Buchstabe auf die Haut tätowiert. Der Studentin aus Seattle erging es ebenso wie Hester Prynne, der Protagonistin des Romans von Nathaniel Hawthorne.
    Wenige Tage nachdem sie in das einige Kilometer außerhalb Perugias gelegene Gefängnis Capanne gebracht worden war, ließ irgendjemand eine Information durchsickern, die sich später als vollkommen falsch herausstellen sollte: Amanda habe sich mit Aids angesteckt, natürlich aufgrund ihrer vielen wahllosen Techtelmechtel mit Männern. Die schreckliche Nachricht – manche glaubten, man habe sie erfunden, um Amanda psychisch zu brechen – wurde auch ihr überbracht. Die Wirkung kann man sich vorstellen. Amanda selbst beschreibt sie in ihrem Tagebuch, das sie in der Zelle bei sich hat. Es war der 22 . November, der fünfzehnte Tag ihrer Haft, wie sie mit einem Fragezeichen vermerkt. Schon jetzt war sie sich der Zeit nicht mehr sicher, da jeder Tag so gleichförmig dahinging.

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