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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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deutlich, sie stand im Dunkeln auf der Kommode, und sie war nur ein ganz schmaler heller Streifen Licht. Das war die Flasche, ein heller Streifen Licht im Dunkeln, sie war leer, auf dem Teppich, wo Feldbluse, Hose und Koppel
    lagen, mußte auch der Korken liegen…
    Später hatte er den Arm um sie geschlungen und rauchte mit der freien Hand. Sie sprachen kein Wort, alle ihre Zusammen- künfte zeichneten sich durch Stummheit aus. Er hatte immer gedacht, daß man mal mit einer würde sprechen können, aber sie sprach nicht…
    Der Himmel draußen wurde immer dunkler, das leise Kurgast- lachen auf der Terrasse erlosch, das Kichern der Frauen wurde zum Gähnen, und er hörte später den Kellner, der die Gläser heftiger zum Klirren brachte, wenn er vier oder fünf in einer Hand zusammenpackte, um sie wegzutragen. Dann wurden auch die Flaschen weggetragen, es klang dunkler, voller, zuletzt wur- den die Tischtücher abgenommen, die Stühle aufeinanderge- stellt, Tische gerückt, und er hörte eine Frau lange, sehr sorgfäl- tig fegen: die ganze Nacht schien nur aus dem Kehren jener unsichtbaren, sehr umsichtigen Frau zu bestehen, sie machte das fast lautlos und ruhig, sehr regelmäßig und sanft, er hörte das Huschen des Besens, und er sah im Geist die Frau von einem Ende der Terrasse zum anderen gehen, dann kam eine müde fette Stimme, die zur Tür herausfragte: »Noch nicht fertig?«, und die Frau antwortete ebenso müde: »Doch, gleich…«
    Kurz danach war es ganz still draußen, der Himmel war dun- kelblau geworden, von sehr weit entfernt kam noch Musik.
    Die Uhr tickte weiter. Jede Minute, die verstrich, wunderte er sich, daß er noch lebte. Immer noch stand die Flasche da, ein
    viel kleinerer Strich im Dunkeln.
    Die Frau neben ihm war plötzlich aufgeschreckt und hatte ihn angesehen, sie war sehr blaß, sehr schmal, ihre Augen schienen in diesem samtenen Dunkel riesengroß, und das hellbraune Kin- derhaar machte sie so jung, sie blickte ihn fremd, fast erschreckt an, schloß dann die Augen wieder und nahm seine Hand…
    So hatten sie nebeneinander gelegen, bis es hell wurde. Lang- sam stieg die Rotweinflasche aus der Finsternis heraus, ein Lichtstreifen, der immer breiter und heller wurde und sich zur
    plastischen Rundung vollendete, und die Feldbluse auf dem
    Boden mit der eingeknöpften schmutzigen Kragenbinde, und das
    Koppel mit der deutlich sichtbaren erhabenen Aufschrift: Gott
    mit uns, die sauber um das Hoheitszeichen mit dem Hakenkreuz gestanzt war…

    Während er an alles das dachte und auf die Wand starrte, stieg das Lichtdreieck um eine Handbreit höher, es wurde gelb, sehr intensiv gelb, und er schätzte, daß es fast acht Uhr war; er wand- te sich plötzlich um, als die Drahtmatratze knirschte, und sah, daß sie aufgestanden war; sie ging mit ihren nackten kleinen Füßen, den Schlafanzug zusammenhaltend, zum Tisch, auf dem die Kleider lagen, raffte allerlei Zeug zusammen und legte es sich über den Arm. Als sie zur Tür ging, blieb sie bei ihm ste- hen, zog die Schuhe über die Füße und fragte ihn leise: »Wann starb sie denn?«
    »Später, als sie evakuiert wurde«, sagte er. Er war froh, daß er wieder sprechen konnte. »Der Zug wurde bombardiert, und man fand ihre Leiche auf dem Schotter zwischen den Schienen, kei-
    nerlei Spur einer Verletzung an ihr, ich glaube, daß sie vor
    Angst gestorben ist – – sie war sehr ängstlich…«
    »Möchtest du, daß sie noch lebt?«
    Er sah sie erstaunt an; er hatte noch nie daran gedacht, aber er sagte sofort: »Nein, ich möchte es nicht… ich gönne es ihr…«
    Sie fing an, den schwarzen Mantel zuzuknöpfen, und warf die
    Kleider auf ihre Schulter. »Ich gehe mich anziehen«, sagte sie.
    »So«, sagte er, und ehe sie hinausging, fragte er: »Hast du denn noch ein Zimmer…?«
    Sie wurde nur für einen Augenblick rot, es stieg heftig in ihr blasses Gesicht und wich ebenso schnell wieder zurück. »Ja«,
    sagte sie, »aber ich hatte Angst, diese Nacht allein zu sein – in
    der vorigen war es noch bei mir.«
    Sie ging hinaus, und er hörte sie über den Flur schlurfen und irgendwo eine Tür öffnen. Er stand auf und ging zum Fenster…
    Als er den Riegel beiseite geschoben und die Läden nach au- ßen geschlagen hatte, schloß er sofort die Augen: draußen war es
    hell, die Sonne schien warm und kräftig, und in der Wildnis des
    Parkes jenseits der schmalen Straße wucherte es grün und üppig.
    Es schien ihm, als seien die Bäume noch nie von diesem

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