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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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mußt du richtige Papiere haben, damit du rausgehen kannst und wir Marken kriegen…«
    Sie schien nachzudenken, steckte den Photoapparat wieder ein und sagte dann sehr plötzlich: »Auf Wiedersehen…«
    An diesem Tage schlief er nicht. Er wartete unruhig, bis sie wieder kam. Den ganzen Nachmittag hockte er in seinem Zim-
    mer, öffnete einen Spalt weit die Läden und sah hinaus: draußen
    war ein großer verwahrloster Park, und vor der grauen unendli- chen Fläche des Himmels sah er eine kleine Gruppe von Men- schen sich bewegen: ein paar Männer und Frauen, die Bäume fällten; er hörte die Axtschläge und den Krach, wenn ein Baum umstürzte.
    Abends kam Regina gleich in sein Zimmer und legte ihm ein weißes Papier auf den Tisch. Er trat auf sie zu, legte ihr die Hand auf die Schulter, und er blieb neben ihr stehen und blickte auf das engbedruckte weiße Papier, und ihr kleiner Zeigefinger fuhr von Rubrik zu Rubrik, und sie sagte leise: »Hier mußt du nur hinschreiben, wie du heißt, oder wie du heißen willst – deinen Beruf- dein Geburtsdatum – Geburtsort – den Ort, wo du gefan- gen genommen worden bist – alles andere ist echt, richtig ge- stempelt und unterschrieben, und hier ist das Lager, aus dem du entlassen bist, merk es dir. Aber du mußt alles englisch und deutsch schreiben – kannst du englisch?«
    »Ein bißchen«, sagte er – »mein Gott, woher hast du das Ding?«
    »Getauscht«, sagte sie, »gegen meinen Photoapparat – es ist
    ganz echt – ich habe es von einem Amerikaner…«
    »Mein Gott«, sagte er, aber als er ihre Schulter fester packte, schüttelte sie ihn ab…
    »Das andere habe ich auch abgegeben am Krankenhaus.«
    »Danke«, sagte er.
    Sie wandte sich ab und ging zur Tür…
    »Regina«, rief er.
    »Was ist denn?« sagte sie.
    »Bleib bei mir«, sagte er und ging auf sie zu.
    Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. Sie blieb ru- hig stehen, als er ihr die Hände auf die Schulter legte und sie küßte.
    »Nein nein«, sagte sie leise, als er sie losließ, »laß mich bitte – ich bin so müde, daß ich sterben möchte – ich kann nicht, ich habe auch Hunger, großen Hunger.«
    »Ich glaube, ich liebe dich«, sagte er, »liebst du mich denn?«
    »Ich glaube ja«, sagte sie müde. »Ich glaube wirklich, aber laß mich heute, bitte, laß mich allein –«
    »Ja«, sagte er, »verzeih mir.«
    Sie nickte nur und er hielt ihr die Tür auf, als sie hinausging. Er sah noch, daß sie mit müden Schritten in die Küche ging, und
    hörte, daß sie sich sofort hinlegte, ohne das Licht anzumachen…

VII
–––––––––

    Er begriff nicht, daß das erst drei Wochen her sein sollte: es erschien ihm länger als ein Jahr. Die Nonne schien ihn nicht mehr zu erkennen, sie selbst war nur wenig verändert: ihr flei- schiger Arm mit der Kinderhand schien etwas magerer und ihr breites törichtes Gesicht trauriger geworden zu sein, er hatte sie gleich wiedererkannt. Sie stand über einen großen dampfenden Kessel gebeugt und teilte Suppe aus. Ein paar Mädchen standen Schlange vor der dampfenden Öffnung, und welches an der Reihe war, hielt ihr die offene Schnauze ihrer Blechkanne ent- gegen; sie selbst war vom Dampf der Suppe eingehüllt und zähl- te kellenweise die heiße Flüssigkeit ein, die nach Rüben und einer Spur verdunsteten Fettes roch. Die kleine Kolonne in blauweißgestreiften Schürzen nahm langsam ab, und er hörte schon, daß der Löffel unten auf dem Boden des Kessels herum- kratzte, und sah, daß die Dampfschwaden geringer wurden, sie zogen an ihm vorbei durch die offene Tür hinaus und hafteten an seinem Gesicht wie ein feiner heißer Schweiß, der sich langsam abkühlte, ein sanfter Sprühregen, der nach Spülwasser zu rie- chen schien; die Mädchen verließen das Küchenhäuschen durch den Spalt einer riesigen Schiebtür, die nur angelehnt war an die alte Türöffnung: die Schienen oben waren verbogen: manchmal kam ein Windstoß durch diesen Spalt und trieb die Wasserdämp- fe zusammen, riß sie durch ein offenes Fenster hinaus, und für einen Augenblick war die Nonne deutlich sichtbar und vor ihr die mageren Nacken der beiden Mädchen, die noch warteten –
    Hinter ihm fuhr ein Wagen auf den Hof, und eine große Fuhre Steckrüben wurde auf den Boden gerumpelt; die Nonne verließ eilig ihren Platz, pflanzte sich an der Tür auf und rief zornig:
    »Gebt doch acht, es gehen so viele kaputt, schließlich sind sie doch für Menschen… zum Essen…«
    Sie

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