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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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hatte: es war ein seltsam dunkles, knotiges Zeug, das einmal Pulver ge-
    wesen zu sein schien: es roch nach Suppe. Er löste es in Wasser
    auf und setzte den Topf auf die Platte. Obwohl er Hunger hatte, spürte er eine leichte Übelkeit, als das Zeug im Topf heiß wurde und sein Geruch sich verstärkte: es schien uralte Suppenwürze zu sein: intensiv künstlich und ekelhaft roch es, aber er schlürfte es doch in sich hinein.
    Als er abends Regina kommen hörte, rief er nach ihr, aber sie kam nicht, und er war zu müde, aufzustehen. Er rief noch ein- mal, als sie später im Dunkeln durch den Flur ging, aber sie hörte wieder nicht, und sie ging in die Küche zurück, und er war immer noch zu müde, aufzustehen und mit ihr zu reden.. – Auch am anderen Morgen war nichts in der Küche, aber es lag ein Zettel da: Ich habe nichts mehr – vielleicht heute abend. Er war- tete in der Küche auf sie, legte sich zwischendurch wieder ins Bett, schlief ein und wurde wach, als sie kam – es war erst Mit- tag.
    Er ging in die Küche hinüber, fand sie müde auf einem Stuhl sitzen, eine Zigarette in der Hand und auf dem Tisch Brot.
    Sie lachte, als er plötzlich vor ihr stand. »Oho«, sagte sie, »der Hunger macht dich wohl lebendig…«
    »Verzeih« sagte sie dann leise, »komm, iß bitte.«
    Er spürte, daß er rot wurde, und sah sie aufmerksam an: ihr blasses Gesicht war ohne Spott, es schien leicht gerötet, und er hatte zum ersten Male den Wunsch, sie zu küssen.
    Als er am Tisch saß, Kaffee trank und das trockene Brot sehr vorsichtig und andächtig in den Mund schob, fragte sie: »Hast du eigentlich keine Papiere…?«
    »Doch«, sagte er, »aber sie sind nicht echt…«
    »Zeig sie mir.«
    Er zog den Ausweis aus der Tasche und reichte ihn ihr. Sie sah ihn sehr aufmerksam durch, mit gerunzelter Stirn, und sagte dann: »Sieht sehr echt aus, meinst du nicht, man sollte versu- chen, Marken drauf zu bekommen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Der Mann ist tot – es ist nicht mein Name – wenn sie es merken…«
    »Du mußt richtige Papiere haben.«
    »Ja«, sagte er, »aber wie, übrigens kommst du oft in die
    Stadt?«
    »Natürlich, jeden Tag.«
    »Hast du einen Briefumschlag?«
    »Ja.«
    »Gib mir bitte einen.«
    Sie sah ihn erstaunt an, stand aber auf und zog aus der Schrankschublade einen grünen Briefumschlag.
    Er steckte den Ausweis in den Umschlag, klebte ihn zu und schrieb mit einem Bleistift drauf: »Dr. Weiner, Krankenhaus der Vinzentinerinnen«.
    »Er gehört mir nicht«, sagte er, »der Ausweis, kannst du ihn
    für mich da abgeben?«
    Sie nahm den Umschlag entgegen, las die Adresse durch und sagte: »Ja, aber du kannst nicht ohne Papiere hier sein, sie ver- haften jeden, der keinen ordentlichen Entlassungsschein hat.«
    Sie steckte den Umschlag ein und stand auf. »Ich gebe ihn dort ab, wenn du willst. Gehört er dir denn nicht?«
    »Ich habe ihn geliehen«, sagte er, »habe vergessen, ihn zu- rückzubringen.«
    Sie wollte gehen, aber er sagte: »Warte einen Augenblick.«
    Als sie sich herumdrehte, erstaunt, fragte er: »Womit kann man Geld verdienen?«
    Sie lachte: »Willst du Geld verdienen?«
    »Ja«, sagte er, und er spürte, daß er wieder rot wurde. »Ich muß ja irgend etwas tun – auch für dich will ich etwas tun.«
    Sie schwieg, und er sah ihre gesenkten Lider, schwarze zarte Kränze auf den blassen Wangen. Sie schlug die Augen auf, und
    er sah, daß sie ernst war. Sie setzte sich, nahm Zigaretten aus der
    Tasche, gab ihm eine und sagte: »Ich bin froh, daß du einmal mit mir darüber sprichst, es geht nicht mehr lange. Hier«, sagte sie, und zog aus ihrer Einkaufstasche einen Photoapparat, der in weißem Papier eingewickelt war, »das ist das letzte, was ich habe. Was hast du für einen Beruf«
    »Buchhändler«, sagte er.
    Sie lachte. »Ich habe noch keine Buchhandlung gesehen, und
    außerdem, vom Arbeiten kannst du nicht leben…«
    »Was denn?«
    »Schwarzhandel«, sagte sie, »das ist das Richtige.« Sie sah ihn aufmerksam an, und es schien ihm, als lächle sie, und zugleich sah sie ernst aus und sehr schön. Er spürte eine schmerzhafte
    Sehnsucht, sie zu küssen. »Aber Schwarzhandel«, fuhr sie fort,
    »ist nichts für dich. Versuch es nicht, es ist zwecklos, ich sehe es dir an. Verstehst du?«
    Er zuckte die Schultern. »Was soll ich tun?«
    »Klauen«, sagte sie, »ist eine andere Möglichkeit.« Sie sah ihn wieder prüfend an, »vielleicht kannst du das… aber vor allem

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