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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Und du, du hast eine Frau, nicht wahr?«
    »Nein, sie ist tot.«
    »Aber du denkst oft an sie.«
    »Ich denke oft an sie, ich denke sehr oft an sie. Es macht mich sehr traurig, nicht weil ich sie liebte und sie nun entbehre – nein nein, denk das nicht. Es ist ganz etwas anderes« – er lehnte sich zurück, legte sich quer übers Bett, bis er seinen Kopf an die Wand stützen konnte – und er bemerkte, daß sie ihre Füße hoch- zog, um ihm Platz zu machen. Sie sah ihn gespannt an, und als er die Kippe aus der Tasche zog, warf sie ihm die Streichholz- schachtel zu – »etwas anderes«, fuhr er fort. »Es macht mich traurig, daß ich sie gar nicht kannte, und daß sie nun weg ist, bevor ich ihr etwas Nettes sagen konnte. Ich war nicht nett zu
    ihr. Die Trauung war sehr schäbig, alles ging so hastig, alle
    zitterten vor Fliegeralarm, und es war kalt – aus den großen gotischen Fenstern der Kirche waren die Scheiben herausge- nommen worden, und es zog durch die naßgewordenen Pappe- stücke, ein bräunlicher schmutziger Dämmer herrschte. Das Ewige Licht vorn am Altar legte sich dauernd schief, zischte, und die Lampe schwankte an der großen eisernen Kette, die hoch oben an einem Stein des Gewölbes befestigt war. Wir muß- ten fast eine halbe Stunde auf den Pfarrer warten, und es er- schien mir wie eine Ewigkeit von Langeweile, während ich in den fetten blassen Nacken meines Schwiegervaters blickte – ein widerliches Stück Fleisch, das ich zum ersten Male sah. Dann kam der Pfarrer, ein mißmutiger Bursche, der flüchtig den Chor- rock über die Soutane gestreift hatte…«
    Er schwieg einen Augenblick, drückte die Glut von der Ziga- rette und ließ den Rest verschwinden.
    »Zehn Minuten später waren wir verheiratet. Alle waren ner- vös. Beim geringsten Geräusch, das das eintönige Heulen des
    Windes durchschnitt, beim Knarren oder Hupen eines vorbeifah- renden Autos, oder wenn eine Straßenbahn kreischend an der
    Ecke hielt, zuckte alles zusammen und machte sich zur Flucht
    bereit.«
    Er blickte sie an und seufzte. »Weiter«, sagte sie.
    »Als wir nach Hause kamen, lag ein Telegramm für mich da, daß ich zurück mußte zum Osten, ich blieb keine halbe Stunde und fuhr ab – obwohl – obwohl ich hätte einen Tag bleiben kön- nen…«
    »Du warst nie mit ihr zusammen…«
    »Doch«, sagte er, er schwieg wieder und blickte sie an; sie nickte ihm zu, fortzufahren…
    »Sie besuchte mich zwei Monate später, als ich verwundet im Lazarett lag…«
    Die Erinnerung an diese einzige Nacht ihres Zusammenseins war ihm jetzt so deutlich, daß er nicht darüber sprechen wollte,
    und er wußte plötzlich, daß er nie darüber sprechen würde. Er
    beugte sich vor, stützte seinen Arm auf die Bettkante, drehte ihr
    den Rücken zu und starrte auf die Wand, auf der sich das Licht-
    dreieck scharf, nun schon in halber Höhe der Türfüllung, ab- zeichnete.

    Damals hatte er ihren Scheitel unter sich gesehen, die schmale weiße Straße ihres Scheitels, ihre Brüste an seiner Haut gespürt, den warmen Atem ihres Mundes im Gesicht, und seine Augen waren unendlich weit in die schmale weiße Straße ihres Schei- tels hineingefallen.
    Irgendwo auf dem Teppich hatte sein Koppel gelegen mit der deutlich sichtbaren erhabenen Aufschrift: Gott mit uns, irgend- wo auch seine Feldbluse, deren Kragenbinde schmutzig war, und irgendwo tickte eine Uhr…
    Die Fenster standen offen, und draußen auf einer Terrasse hör- te er das sanfte Klirren feiner Gläser, hörte Männer leise lachen und Frauen kichern, der Himmel war sanftblau, eine herrliche Sommernacht.
    Und er hörte ihr Herz schlagen, ganz nah an seiner Brust, und immer wieder fiel sein Blick die schmale weiße Straße ihres Scheitels hinab.
    Es war dunkel, aber der Himmel hatte noch diese sanfte som-
    merliche Helligkeit, und er wußte, daß er ihr so nah war, wie er ihr näher nicht sein konnte, und doch unendlich weit von ihr entfernt. Sie sprachen kein Wort miteinander, keiner von ihnen erwähnte den Hochzeitstag, die Trauung, oder jene Abschieds- stunde vor zwei Jahren, als er sie zum Bahnhof bestellt hatte…
    Er spürte, daß die Uhr ihn forttickte, das Ticken der Uhr war stärker als der Herzschlag an seiner Brust, von dem er nicht mehr wußte, ob es ihrer oder seiner war. Alles das hieß: Urlaub bis zum Wecken. Es hieß: schlaf noch mal bei einer. Deshalb mußte der Wecker ticken, und er hatte sogar eine Flasche Wein sich abholen dürfen.
    Er sah die Flasche ganz

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