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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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stand sehr nahe bei ihm, er sah ihr Gesicht vor Empörung zittern und hörte hinter sich die Fuhrleute lachen; er wandte sich
    um, einer schaufelte mit einer Mistgabel den Rest der Rüben von
    der Schräge des Wagens, und der Fahrer ließ von der Schwester einen Zettel unterschreiben: er war dick, blaß und schien es eilig zu haben. Die Nonne gab dem Fahrer den unterschriebenen Zettel zurück, sah ihm kopfschüttelnd nach und blickte Hans an; sie hatte immer noch die Kelle in der Hand, von der die dünne heiße Suppe heruntertropfte. »Was wollen Sie?« fragte sie.
    »Etwas zu essen…«
    »Unmöglich«, sagte sie, indem sie wegging, »es ist alles genau abgemessen, unmöglich…«
    Aber er blieb stehen und sah zu, wie sie die beiden letzten Mädchen abfertigte.
    Er fror, am Tage vorher hatte es geschneit, einen nassen, wi- derwärtigen Maischnee, die Pfützen standen noch auf dem Hof,
    und in manchen Ecken an der Mauer, an sehr schattigen Stellen
    zwischen den Schutthalden und der rissigen Mauer, sah er Klumpen von dreckigem Schnee liegen.
    Die Schwester winkte ihm jetzt zu, indem sie den Löffel unge- schickt über der Öffnung des Kessels schwenkte, er ging schnell auf sie zu…
    Sie sagte flüsternd: »Sagen Sie niemand, daß ich Ihnen etwas
    zu essen gegeben habe – sonst habe ich morgen die halbe Stadt hier stehen; los«, rief sie heftiger, »kommen Sie…«
    Sie hatte eine halbe Kelle voll aus dem Kessel herausgekratzt und in einen Blechnapf geschüttet. »Schnell«, rief sie, und er
    sah, daß sie an die Tür lief, um aufzupassen…
    Er trank die Suppe schnell hinunter, sie war heiß und dünn, schmeckte aber herrlich; vor allem war sie heiß; er spürte, daß ihm die Tränen ins Gesicht stiegen, ohne daß er es verhindern konnte, sie liefen einfach los, und er hatte nicht die Hände frei, um sie aufzuhalten, er merkte, daß sie sich kühl in den Falten seines Gesichts fingen und schräg zum Mund liefen, wo er ihren salzigen Geschmack spürte…
    Er stellte den Napf auf den Rand des Kessels und ging zur Tür. Im Gesicht der Schwester sah er etwas, das kein Mitleid war, es schien Schmerz zu sein, eine Art abwesender Teilnahme und
    kindlicher Zärtlichkeit. »Haben Sie sehr großen Hunger?« sagte
    sie. Er nickte. »Wirklich?« Er nickte nochmals heftiger und blickte gespannt auf diesen schönen geschwungenen Mund in- mitten ihres blassen und fetten Gesichts. »Augenblick…«
    Sie ging zum Tisch, der in der Küchenbaracke stand, und einen Augenblick lang, als er sah, daß sie eine Schublade öffnete, hoffte er, sie würde ihm Brot geben, aber er sah nur daß sie ei- nen Zettel herauszog, den sie sorgfältig glättete und ihm über- reichte. Er las ›Gutschein für ein Brot, abzuholen bei Gompertz, Rubensstraße 8‹.
    »Danke«, sagte er leise, »vielen Dank, kann ich jetzt noch hin- gehen?«
    »Nein«, sagte sie, »es ist zu spät, Sie kommen vor der Sperr- stunde nicht mehr hin, laufen Sie zum Bunker, und morgen
    früh…«
    »Ja«, sagte er… »Danke, vielen Dank…«

VIII
–––––––––

    An der Wand hing ein großes Pappeschild, mit schwarzer Far- be schief beschrieben: Deckenpfand 100 Mark und Personal- ausweis. Es roch muffig, nach Elend und dem seltsamen Som- merschweiß der Armen. Er ließ sich langsam in der langen Schlange nach vorne zwängen, wo ein finsteres Loch in einer dicken Betonwand ›Eingang‹ überschrieben war. Die Frau, die am Eingang einen schmutzigen Stapel halbzerrissener Decken verwaltete, fragte nach Papieren, und er reichte ihr den Entlas- sungsschein hin, den Regina ihm besorgt hatte. Sie trug seinen Namen in eine Liste ein, fragte kurz: »Decke?«, und als er den Kopf schüttelte, schob sie ihn weiter, ihr graues Gesicht zuckte gierig und nervös, und sie schnappte dem nächsten seinen schmutzigen Ausweis aus der Hand. Hinten drängten sie: weiter, weiter…
    Er ließ sich nach innen treiben. Drinnen war es schon voll. Al- le Bänke und Tische waren besetzt, und er setzte sich auf den Boden. Er war müde; es war dämmerig, aus irgendeinem Schlitz kam noch Tageslicht, keine Lampe brannte. Plötzlich fingen alle an, nach Licht zu schreien, eine gierige Versammlung von un- persönlichen Stimmen, die »Licht« brüllten, »Licht«. Ein gries- grämiger Beamter erschien in der Tür und verkündete mit trok- kener Stimme, es würde kein Licht mehr gemacht, weil die Bir- nen jede Nacht gestohlen würden – er wartete das johlende Auf- heulen ab – und verkündete

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