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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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zählte…
    Draußen war es sehr hell, wärmer, und als er anfing, nach dem Zettel zu suchen, brach ihm sofort vor Angst der Schweiß aus: er konnte ihn nicht finden; er suchte hastig, fieberhaft, und spürte, wie der Schrecken tief saß und tödlich, der Schrecken über ein
    verlorenes oder gestohlenes Brot, sein Herz klopfte rasend, und
    er brach fast in Tränen aus, als er endlich den winzigen, zusam- mengedrückten Zettel oben in seiner Brusttasche entdeckte: er faltete ihn auseinander, glättete ihn sorgfältig und ging weiter: Gut für ein Brot, abzuholen bei… immer noch klopfte sein Herz, als er weiterging…

IX
–––––––––

    Das Klopfen seines Herzens ließ nicht nach, er dachte immer an das Brot, und das Klopfen seines Herzens war wie ein sanftes schmerzhaftes und doch angenehmes Pochen in einer Wunde: ein großer wunder Fleck in seiner Brust, sein Herz. Er ging, so schnell er konnte, wählte die Straßen, in deren Mitte schmale Gänge ausgeschaufelt waren, und erreichte die Straße, von der die Rubensstraße abzweigte, schon um neun. In Gedanken an die Frau mußte er lächeln: Was würde sie sagen, wenn er auftauchte und ihr den Gutschein für ein Brot vorzeigte. Gewiß würde sie ihn erkennen. Er wußte es. Vielleicht würde sie ihm Geld anbie- ten, viel Geld. Geld genug, um sich einen guten anständigen Ausweis zu kaufen, einen Ausweis, auf seinen richtigen Namen lautend; ein Stück Papier, das echt war, soweit ein gekauftes Stück Papier echt sein konnte. Aber mehr noch als bei dem Ge- danken an den Ausweis, den er würde kaufen können, klopfte sein Herz bei dem Gedanken an Brot: wirkliches Brot; solange er nur den Zettel hatte, war es nicht Brot: er wollte es spüren, wollte es essen, wollte es brechen, es Regina bringen: Brot, weich und gar in der braunen Kruste der gebackene Teig: süß riechend und süß schmeckend, so süß wie nur Brot schmeckt. Mit einer seltsamen Freude, die fast nicht mehr sinnlich war, dachte er an das Brot, das er bei der Nonne vor vierzehn Tagen gegessen hatte. Gestern war er losgegangen, um irgend etwas zu essen aufzutreiben, er hatte es Regina versprochen, aber er brachte wohl nicht fertig, viel zu besorgen; er hatte kein Geld und nichts zu tauschen, aber immerhin würde er ein Brot mit- bringen. Vielleicht viele Brote, vielleicht würde sie ihm Geld geben, viel Geld, und er würde viele Brote dafür kaufen. Die Preise für Brot waren rapide gestiegen, seitdem kein Krieg mehr war. Der Frieden trieb die Preise in die Höhe. Immerhin: es gab noch Brot, es war nur teuer.
    Schon beschloß er, keinen Ausweis zu kaufen, nur Brot. Vor-
    läufig hatte er ja einen Ausweis, einen ausgezeichneten Fetzen
    Papier, ein Dokument, für das Regina ihren Photoapparat gege- ben hatte. Schade, dachte er, vielleicht wäre es besser gewesen, Brot zu kaufen…
    Er setzte sich auf die Trümmer der Badeanstalt, um das Pochen seines Herzens zur Ruhe kommen zu lassen, dieser wunde Kreis in seiner Brust erschien ihm wie eine sich erbreiternde, sich vertiefende Wunde, deren Schmerz von einer seltsamen Süßig- keit war…
    Die grünen Kacheln der Badeanstalt waren vom Regen und Schnee der letzten Tage ganz sauber gewaschen, sie strahlten im Sonnenschein; irgendwo lag eine Kabinentür, grüngestrichen, hellgrün mit einem schwarz-weiß emaillierten Nummernschild.
    Man konnte das Datum der Zerstörung an der Bewachsung der Trümmer feststellen: es war eine botanische Frage. Dieser Trümmerhaufen war nackt und kahl, rohe Steine, frisch gebro- chenes Mauerwerk, wild übereinandergepackt, und ragende Eisenträger, die kaum eine Spur von Rost zeigten: nirgendwo wuchs ein Gräschen, während anderwärts schon Bäume wuch- sen, reizende kleine Bäume in Schlafzimmern und Küchen, dicht neben dem rostigen Balg des zerbrannten Herdes, war hier nur nackte Zerstörung, wüst und schrecklich leer, als hinge der Atem der Bombe noch in der Luft. Nur die Kacheln, dort wo sie erhal- ten waren, glänzten in Unschuld.
    Er spürte, daß er anfing, schon mit dem Geld zu rechnen, das die Frau ihm geben würde: Tausend, dachte er zuerst, dann wa- ren es mehrere Tausend, und er schalt sich, daß er damals ihr Angebot, ihm zu helfen, nicht angenommen hatte. Sicher hatte sie sehr viel Geld, sicher hatte das Testament ihres Mannes einen Wert von ein paar hunderttausend Mark, und er, er hatte es mit seinem Tode bezahlt, er hatte es sehr teuer bezahlt. Dieses Da- mals, das vor vierzehn Tagen gewesen war, schien

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