Der Engel Schwieg.
die Wasserzeichen auf dem Boden dunkler geworden, und wenn es auch nicht sauber aussah, schien doch eine gewisse Glätte und Regelmäßigkeit zu herr- schen. Sie sehnte sich so nach Sauberkeit; dieses Verlangen hatte sie getrieben, anzufangen, aber es schien sinnlos zu sein, es quoll nach, quoll unaufhörlich nach, der Dreck schien der Säube- rung nicht zu weichen, sondern diese als eine Herausforderung zu empfinden und sich zu verdoppeln, zu verdreifachen: als die Sonne draußen plötzlich durchbrach, erschrak sie: die Schränke waren wolkig, sahen wie beschmiert aus, und der Boden zeigte seine teuflische Musterung in voller Pracht…
Sie stand müde auf, setzte Wasser auf den Herd, legte Holz auf und musterte, während das Wasser warm wurde, ihre Schätze: eine halbe Flasche Wein, ein halbes Brot, etwas Marmelade, ein Klumpen Margarine, eine ganze Tasse voll Kaffeepulver, die sie sorgsam mit Pergamentpapier zugebunden hatte, Tabak und Zigarettenpapier und Geld, Geld, in der Schublade, ein kleiner Haufen schmutziger Scheine: fast zwölfhundert Mark und die fünfzig, die Hans ihr gegeben hatte; ihr Reichtum erschien ihr groß und tröstlich…
Sie hielt die Seife lange unter die Nase, rieb sie trocken über Gesicht und Wangen, um den Geruch nahe zu spüren, den Ge- ruch dieser dünnen zerschlissenen Scheibe, die mit etwas Man- delaroma durchsetzt war…
Sie hörte, daß er draußen etwas Schweres auf den Boden setz- te, einen Sack offenbar, der etwas Hartes und Schweres zu enthalten schien, und als er eintrat, sah sie, daß es draußen
wieder regnete, er war naß im Gesicht, und schwarzer
Kohlendreck hatte sich mit Regen gemischt, schwärzliche Striemen liefen über sein blasses und müdes Gesicht; es schien, als weine er schwarze Tränen. Sie sah es durch den spärlichen Seifenschaum hindurch, der in ihren Brauen und Wimpern hing und sie blinzeln machte, und sie schämte sich ihrer nackten Brust und hielt mit nassen Händen das Hemd hoch, das heruntergerutscht war. Er küßte sie lächelnd auf den Nacken,
einen Augenblick nebeneinander im Spiegel, seinen dunklen
Kopf auf ihrer Schulter neben ihrem hellen Gesicht…
Sie aßen im Bett. Neben der Kaffeekanne auf dem Stuhl stand der kleine Stapel rötlich beschmierter Brote. Die Luft war süß und mild, draußen regnete es, und das Geräusch des stetigen Regens war wie eine Verzauberung. An der Decke wurden die dunklen Kreise wieder sichtbar, wie immer, wenn es regnete, lautlos sich vollsaugende, sich erweiternde Kreise, die wachsen würden, bis die Pfütze, die im zerstörten Stockwerk darüber stand, leergesogen war; die stille und flinke Art, wie das Wasser sichtbar wurde, wie auf einem Löschblatt, hatte etwas Beunruhi- gendes; diese Kreise waren wie Augen, die ihnen zuzusehen schienen, in der Mitte, im Kern dunkel, fast schwarz, mit dem hängenden Tropfen, der nachfiel – zum Rande hin sich abstu- fend in immer hellerem Grau; sie erschienen wie Signale, Warn- zeichen, die aufleuchteten, für einige Tage stehenblieben und wieder verschwanden, nur dunkle Ränder zurücklassend; manchmal löste sich dann später ein Placken, klatschte der Kalk aufspritzend auf den Boden, und oben blieb das Lattengeflecht, eine finstere Lücke, die sich langsam mit Spinngeweben füllte, und an diesen Stellen, wo der Putz schon heruntergefallen war, tropfte es durch. Sie hatten das Bett verrückt, und nun stand es mitten im Zimmer und dieser Zustand erhöhte den Eindruck der schwimmenden Unsicherheit…
Sie lagen nebeneinander, ohne sich zu berühren. Schon die Tatsache, sauber zu sein, erfüllte sie mit Glück; nur manchmal, wenn er ihr Brot herüberreichte, berührte er ihr Gesicht oder
ihren Arm, und sie lächelte ihm zu.
»Übrigens«, sagte er, »hat dein Entlassungsschein die schwer- ste Probe bestanden.«
»Ja?«
»Ich habe einen Registrierschein darauf bekommen, obwohl« – er lachte – »obwohl ich offenbar der erste bin, der entlassen wird. Sie haben die ersten erst Mitte Juni erwartet. Ich glaube, wir ändern das Datum am besten jetzt und warten bis Mitte Juni,
aber die Marken habe ich bekommen.«
»Schön«, sagte sie, »bis wann?«
»Bis Ende Juni schon – wer weiß, was bis dahin ist…«
»Ja«, sagte sie, »das ist fast ein ganzer Monat – bis dahin – und die Briketts?«
Er lachte wieder. »Es ist ganz einfach. Man braucht nur auf die Züge zu springen und sie herunterzuschmeißen, manchmal hal- ten die Züge auch, und sie sind kaum bewacht.
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