Der Engel Schwieg.
Kragen des Chorrocks hochgeschla- gen und schien sich unter den weiten Rüschen seiner Ärmel die Gelenke warm zu reiben. Außerdem war deutlich zu hören, daß er in gewissen regelmäßigen Abständen die Nase hochzog. Der Priester betete mit erhobenen Händen die Schlußgebete, und die Antworten des Meßdieners kamen mürrisch und gleichgültig. Er hob den Kopf manchmal etwas und schien nach den Kerzen zu schielen, als mißbillige er diese Wachsverschwendung. Endlich kniete er mit dem Meßbuch auf dem Arm vorne, und der Priester machte langsam und feierlich das Kreuzzeichen über ihn…
Hans spürte trotz allem etwas wie Frieden und Freude. Er sah noch, wie der Junge hastig die Kerzen auspustete und dann hin-
ter dem Kaplan in die Sakristei schritt. Draußen war es ganz hell,
es mußte schon fast acht Uhr sein. Er überquerte die Straße und klingelte wieder, drinnen hinter dem eisernen Gitter der Tür hörte er schrill und hohl den Ton der Klingel. Die Haushälterin, ein Frauenzimmer mit breitem rötlichem Gesicht, öffnete drin- nen die Klappe, sah ihn prüfend an und fragte: »Ist die Messe jetzt aus?«
Als er »Ja« sagte, riß sie ohne ein weiteres Wort die Tür auf und rief ihm zu, während sie sich schon umwandte und in den Flur zurückging: »Kommen Sie.«
Er ging ihr nach, aber als er am Ende des Flures im Dunkeln gegen eine hölzerne Wand stieß, war sie verschwunden, und er dachte: ich soll wohl warten…
Von irgendwoher, um eine Ecke herum, die er nicht sehen
konnte, erreichte ihn das Klappern von Geschirr, und plötzlich
erkannte er den widerwärtigen schmutzig süßlichen Geruch, der im Flur hing, festgefressen in dem halb zerfetzten und offenbar feuchten Rupfen: es war der Geruch zerkochter Zuckerrüben: der Dampf quoll aus der Ecke, hinter der die Küche sein mußte, und es schlug ihm warm und widerlich entgegen. Offenbar war sie damit beschäftigt, Rübenkraut herzustellen, wie es fast alle machten: auf einem Ofen, der nicht zog, der mit nassem Holz gefeuert wurde, denn es kam auch Qualm und der Geruch von Ruß auf ihn zu, und die tiefe Stimme der Haushälterin sang hinter der Ecke, die zu betreten er offenbar nicht würdig war: Rorate Coeli desuper und sie antwortete sich selbst mit einem noch tieferen baßartig angedeuteten Gebrumm: Et nubes pluant justum. Offenbar ging ihre Kenntnis des Textes nicht über diese beiden Zeilen hinaus, denn immer wieder kaute sie sie breit in ihrem Mund und brummte sie hinaus. Er fühlte sich versucht, in den langen Pausen, die sie aufkommen ließ – offenbar um ir- gendwelche Verrichtungen am Herd zu tun, in diesen langen Pausen fühlte er sich versucht, die lateinischen Gebete einzu- flechten, die ihm jetzt aufstießen, nach langer Zeit; es mußte fast zehn Jahre her sein, daß der Religionslehrer sie ihnen in der Schule eingetrichtert hatte: Ne irascaris Domine… ne… ultra me, jene langatmigen halbgesprochenen Gesänge, die zum Ende hin etwas heller aufbrachen wie sanfte Knospen, und prompt ertönte hinter seiner Erinnerung an diese langen Gebete wieder die Stimme der Haushälterin: Rorate Coeli desuper…
Endlich fiel von der Haustür her Licht in den Flur, und er er- kannte in diesem weißlichen Strahl den langen mageren Schatten des Kaplans und sah gleichzeitig, daß er vor einem Verschlag stand, hinter dem eine Kartoffelkiste und aller dreckige Krempel aufbewahrt zu werden schien. Die Gestalt kam näher, und als er im Dunkeln ihren Atem spürte und auch das blasse Gesicht sah, sagte er laut: »Schnitzler.«
»Ah Schnitzler«, sagte der Kaplan hastig, offenbar nervös.
»Schön, daß Sie gekommen sind. Freut mich…«
Der Kaplan öffnete eine Tür, aus der fahles Licht kam, nötigte
ihn herein, und er sah sich einem tollen Wirrwarr gegenüber von
Bett, Stühlen, Bücherschränken und einem riesigen Tisch, der mit Büchern bedeckt war, Zeitungen, einer Tüte voll Mohrrü- ben…
»Verzeihen Sie«, sagte der Kaplan unruhig, »diese Unordnung. Man wohnt so eng.«
Er blickte sich lange um: das Zimmer sah wirklich scheußlich aus – immerhin war das Bett gemacht, wahrscheinlich das einzi-
ge an Aufräumungsarbeit, was sich in dieser Bude lohnte. Auch
der Boden war sauber, soweit überhaupt Boden da war: viel- leicht drei Quadratmeter hölzerner Dielen mit großen Rillen zwischen den Brettern, in denen der Dreck feucht und schwärz- lich glänzte, ein Zeichen, daß Putzwasser ihn genäßt hatte. Im Bücherregal standen verschiedene Bände
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